Esa-Chef: Europäischer Astronaut soll dieses Jahrzehnt auf den Mond Interview: Valentin Frimmer, dpa

18.09.2022 03:44

Für die europäische Raumfahrt ging in diesem Jahr schon einiges
schief. Doch der Esa-Generaldirektor gibt sich optimistisch. Und hat
den Mond im Blick.

Berlin (dpa) - Der Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur
(Esa), Josef Aschbacher, hat große Ziele - und will dafür viel Geld.
Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sprach er über Europäer
auf dem Mond, Ticketpreise für den Flug dorthin - und den
Astronautennachwuchs.

Frage: Die europäische Rakete Ariane 6 ist immer noch nicht
abgehoben, die deutsch-russische Marsmission Exomars wurde gestoppt
und das europäische Servicemodul ESM der Mondmission Artemis ist noch
nicht auf dem Weg zum Mond. Verbuchen Sie 2022 als ein Jahr der
Rückschläge?

Antwort: Überhaupt nicht. Im Gegenteil. Wir haben sehr viele Erfolge

gehabt. Ich nenne als Beispiel den Erstflug der Rakete Vega-C. Wir
haben zudem erstmals einen Weltraumgipfel organisiert, auf dem EU und
Esa gemeinsam Entscheidungen getroffen haben. Der Ministerrat
im November, bei dem die Esa-Mitgliedstaaten Budget und Fahrplan für
die kommenden drei Jahre festlegen, wird der krönende Abschluss des
Jahres werden. Die Bekanntgabe der neuen Astronautenklasse im
selben Monat wird ebenfalls ein Höhepunkt. 

Frage: Wie wird diese Truppe zusammengesetzt sein?

Antwort: Das kann man derzeit noch nicht sagen. Wir sind in den
letzten Zügen der Auswahl. Wir hatten fast 22 000 Bewerbungen. In
mehreren Stufen haben wir das auf 50 reduziert. Daraus werden wir
noch mal auswählen. Die aussichtsreichsten Kandidaten werde ich
selbst im Oktober interviewen und die neuen Astronautinnen und
Astronauten persönlich auswählen. Wie viele es sind und ob Deutsche
dabei sind, lässt sich noch nicht sagen.

Frage: Die Zukunft der ISS ist ungewiss. Werden diese Astronauten
überhaupt jemals ins All fliegen?

Antwort: Ja, natürlich. Wir wählen ja Astronauten aus, damit sie
fliegen. Die Frage ist, wann. Es gibt zwei mögliche Ziele. Zum einen
die ISS, die wir gemeinsam mit der Nasa bis 2030 gerne
weiterbetreiben wollen. Zum anderen gibt uns das Nasa-Mondprogramm
«Artemis» die Möglichkeit, Astronauten zur geplanten Station in
der Mondumlaufbahn, dem «Lunar Gateway», zu bringen. Derzeit sind m
it
der Nasa drei Flüge für Esa-Astronautinnen und -Astronauten
vereinbart. Eventuell können wir auch einen Astronauten auf den Mond
selbst bringen.

Frage: Warum gibt es dafür noch keine feste Zusage?

Antwort: Glauben Sie mir, ich bringe das Thema jedes Mal auf den
Tisch, wenn ich Nasa-Chef Bill Nelson treffe. Ich will noch in
diesem Jahrzehnt einen europäischen Astronauten oder eine europäische

Astronautin auf dem Mond sehen.

Frage: Ist das eine Frage des Geldes?

Antwort: Solche Flüge von Astronauten bei der Nasa werden nicht
direkt bezahlt. Indirekt aber schon, in dem wir uns an Kooperationen
beteiligen und entsprechend investieren. Wenn wir zum Beispiel
wichtige Beiträge zum «Artemis»-Programm leisten, kann ich das
bei Verhandlungen auf den Tisch legen. Deshalb ist es auch wichtig,
dass der Esa-Ministerrat im November ein hohes Budget und viele
vorgeschlagene Projekte freigibt. Das stärkt meine Position.

Frage: Die letzte bemannte Mondlandung ist jetzt 50 Jahre her.
Welchen Mehrwert versprechen Sie sich von dem neuen Anlauf?

Antwort: Wir haben eine gewisse Vorstellung, welche
ökonomischen Vorteile uns das bringen kann. Allerdings können wir
heute noch nicht das volle Potenzial des neuen Wirtschaftsraumes
kennen. Ich bin aber persönlich überzeugt, dass es sich lohnt. Der
Mond wird sich zu einem neuen Wirtschaftsraum entwickeln, der im
nächsten Jahrzehnt voll zur Blüte gelangen wird. Wir stehen erst am
Beginn, dieses Mal den Mond nachhaltig für unsere Projekte zu nutzen.
Als Columbus nach Amerika kam, wusste er zunächst auch nicht, was das
alles heißt.

ZUR PERSON: Josef Aschbacher (60) ist seit Frühjahr 2021
Generaldirektor der Esa. Zuvor war der österreichische Geophysiker
unter anderem Esa-Direktor für Erdbeobachtungsprogramme.