Naturschützer wollen gegen «grüne» Einstufung von Atom und Gas klag en

19.09.2022 07:00

Wer in Atomkraftwerke oder Gasinfrastruktur investiert, tut künftig
nach neuen EU-Regeln etwas fürs Klima. Umweltschützer haben das
scharf kritisiert - und schreiten mit einem Ultimatum zur Tat.

Brüssel (dpa) - Mehrere Umweltorganisationen wollen gegen neue
EU-Regeln klagen, die Atomkraftwerke und Gasinfrastruktur ab Januar
als klimafreundliche Projekte einstufen. Unter anderen fordern der
WWF, Greenpeace und der BUND die EU-Kommission dazu auf, die
entsprechende Regelung zurückzuziehen, wie am Montag aus zwei
Mitteilungen hervorging. Die Brüsseler Behörde hat nun bis Februar
Zeit, um darauf zu reagieren. Ansonsten wollen die Umweltschützer vor
den Europäischen Gerichtshof (EuGH) ziehen.

Hintergrund ist die sogenannte Taxonomie. Darin listet die Kommission
auf, in welche Bereiche Bürger und Unternehmen Geld investieren
können, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ab Januar werden auch
Atomkraft und Gas unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich
genannt. Das ist umstritten, da beim Verbrennen von Gas
klimaschädliches Kohlendioxid entsteht und es keine endgültige Lösung

für den radioaktiven Müll von Atomkraftwerken gibt. Die EU-Länder und

das EU-Parlament hatten der Einstufung zugestimmt.

Acht Greenpeace-Büros - darunter das deutsche - legten Widerspruch
gegen die Einstufung ein. Sie verstoße gegen die europäischen
Klimagesetze und den Prinzipien der Taxonomie selbst, hieß es in
einer Mitteilung. Zudem widerspreche sie den Zielen des Pariser
Klimaabkommens, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad zu
begrenzen. «Mit dieser Taxonomie verrät die EU ihre selbstgesteckten
Umwelt- und Klimaziele», sagte Martin Kaiser, Vorstand von Greenpeace
Deutschland.

Der WWF, der BUND und zwei andere Organisationen reichten ebenfalls
einen Antrag ein, um insbesondere die Aufnahme von Gas in die
Taxonomie anzufechten. Die Gasindustrie stehe angesichts der hohen
Preise gerade im Mittelpunkt der Lebenskostenkrise in der EU, und
ihre Förderung untergrabe die EU-Ziele der Energiewende, sagte ein
Sprecher für die Organisationen.

Am Freitag hatte bereits eine andere Gruppe von Umweltschützern,
darunter Robin Wood, eine Nichtigkeitsklage vor dem EuGH eingereicht.
Diese ficht insbesondere die klimafreundliche Einstufung von
Bioenergie und Forstwirtschaftprojekten an, da dies die
Waldzerstörung vorantreibe und die CO2-Emissionen erhöhe. Die
EU-Kommission müsse dafür sorgen, dass es keinerlei finanzielle
Anreize für das industrielle Verheizen der Wälder gebe, sagte Jana
Ballenthien von Robin Wood.

In der vergangenen Woche waren mehrere Organisationen wie der WWF
zudem aus Protest aus der Beratungsplattform ausgetreten, die die
Taxonomie gemeinsam mit der Kommission ausgearbeitet hatte. Sie
kritisierten, die Behörde habe aus politischen Gründen in deren
Arbeit interveniert und die Empfehlungen der Berater entgegen
wissenschaftlichen Belegen ignoriert.