EU-Kommission: Neues Kriseninstrument soll Versorgung sicherstellen

19.09.2022 16:39

Kilometerlange Staus wegen geschlossener Grenzen, getrennte Familien,
gestörte Lieferketten: Diese Bilder der Corona-Pandemie sollen sich
nicht wiederholen. Die EU-Kommission möchte daher engere Vorgaben in
Krisenzeiten für EU-Staaten und Firmen.

Brüssel (dpa) - Zum Schutz des gemeinsamen Binnenmarkts will die
Europäische Kommission Unternehmen und EU-Staaten in Krisenfällen wie
der Corona-Pandemie weniger Spielraum für Alleingänge lassen. Konkret
sollen etwa Staaten Maßnahmen verboten werden können, die die
Reisefreiheit einschränken, oder Firmen im Extremfall verbindliche
Vorgaben gemacht werden können - etwa bestimmte Aufträge bevorzugt zu
behandeln, wie die Brüsseler Behörde am Montag mitteilte.

«Die Covid-19-Krise hat es deutlich gemacht: Wir müssen unseren
Binnenmarkt jederzeit funktionsfähig machen, auch in Krisenzeiten»,
teilte EU-Kommissions-Vizepräsidentin Margrethe Vestager mit. Vor
allem zu Beginn der Pandemie hatten etliche Länder wieder
Grenzkontrollen eingeführt. Riesige Staus etwa störten zum Teil
Lieferketten.

Der für Industrie zuständige Kommissar Thierry Breton betonte: «Wir
müssen besser darauf vorbereitet sein, die nächste Krise zu
antizipieren und darauf zu reagieren.» Die EU-Staaten und das
EU-Parlament müssen nun über die Vorschläge beraten. Bevor sie
verbindlich in Kraft treten können, müssen beide Institutionen einen
Kompromiss aushandeln.

Konkret soll es drei Phasen geben: Planung, Wachsamkeit und Notfall.
Zwangsmaßnahmen für Firmen sollen erst möglich sein, wenn der
Notfallmodus ausgerufen wurde. Dies kann etwa der Fall sein, wenn es
bereits zu schwerwiegenden Störungen im Binnenmarkt gekommen ist. Der
Notfallmodus soll zudem auf sechs Monate begrenzt sein.

In der ersten Phase sollen neben Planungen auch Übungen stattfinden.
In der zweiten Phase sollen unter anderem Vorräte strategisch
wichtiger Waren aufgebaut werden. Zudem ist vorgesehen, Lieferketten
strenger zu überwachen, um mögliche Störungen frühzeitig zu erkenne
n.

Im Notfallmodus - der nur im Einklang mit einer Mehrheit der
EU-Staaten ausgerufen werden kann - wird die Freizügigkeit im
Binnenmarkt durch eine schwarze Liste verbotener Beschränkungen
aufrechterhalten, wie die Kommission mitteilte. In diesem Fall kann
die Kommission Informationen von Firmen verlangen, die im Zweifel
auch verbindlich erteilt werden müssen.

Zudem kann sie Unternehmen dazu auffordern, bestimmte Aufträge für
krisenrelevante Güter vorrangig zu behandeln. Wenn ein Unternehmen
keine schwerwiegenden Gründe hat, warum dies nicht möglich ist, oder
Dinge verspricht, die es später nicht einhält, könnten auch
Strafzahlungen fällig werden, so Vestager.

All diese Schritte sollen von einer Beratungsgruppe begleitet werden.
Diese setzt sich den Angaben zufolge aus der Kommission sowie je
einem Vertreter oder einer Vertreterin der EU-Staaten zusammen. Die
Bundesregierung begrüßte das Vorhaben. Ein wichtiger Punkt für die
bevorstehenden Verhandlungen sei, dass das Zusammenspiel zwischen
Kommission und Mitgliedstaaten klar geregelt sei, hieß es am Montag
aus dem Wirtschaftsministerium.

Auf welche Produkte sich das Instrument genau bezieht, wird im
Kommissionsvorschlag offen gelassen. Zu Waren und Dienstleistungen
von strategischer Bedeutung, bei denen in Phase zwei das Anlegen von
Vorräten angeordnet werden kann, heißt es etwa im Gesetzentwurf: Dies
seien solche, die nicht ersetzt werden können und die für das
Funktionieren des Binnenmarktes in strategisch wichtigen Bereichen
unverzichtbar seien. Krisenrelevante Güter seien solche, die
unverzichtbar seien, um auf die Krise zu reagieren oder deren
Auswirkungen zu bewältigen.

Das neue Instrument soll nicht auf Produkte angewendet werden, für
die es bereits EU-Regulierungen gibt. Dies kann bei medizinischen
Waren der Fall sein - zudem wird gerade beispielsweise über Vorgaben
zur Mikrochip-Produktion verhandelt.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht Licht und
Schatten in den Vorschlägen: Die Schaffung eines Notfallinstruments
sei richtig, so DIHK-Präsident Peter Adrian. Mögliche
Produktionsvorgaben sind für ihn aber ein Eingriff in die
unternehmerische Freiheit.