Tausende demonstrieren im Iran nach Tod von Mahsa Amini
19.09.2022 20:10
Vor drei Tagen starb die 22 Jahre alte Mahsa Amini im
Polizeigewahrsam im Iran. Nun sind viele Menschen auf die Straßen
gegangen, um ihre Wut und Trauer auszudrücken.
Teheran (dpa) - Nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im
Polizeigewahrsam haben in der iranischen Hauptstadt Teheran Tausende
Menschen protestiert. Alleine auf dem zentralen Boulevard Keschawars
kamen am Montagabend Hunderte Demonstranten zusammen, wie die
iranische Nachrichtenagentur Fars berichtete. Die Polizei ging teils
mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen die Menschenmengen
vor. Demonstranten sollen Mülltonnen in Brand gesetzt und Steine
geworfen haben. Der Großteil der Proteste war jedoch friedlich.
Nach Angaben von Augenzeugen waren Polizei und Sicherheitskräfte in
der Stadt mit einem massiven Aufgebot auf den Straßen unterwegs. Im
Volkspark Mellat etwa kam es den Augenzeugen zufolge zu
Menschenansammlungen, bei denen einige auch regimekritische Slogans
riefen. Mehrere Frauen nahmen demnach aus Solidarität mit Amini ihre
Kopftücher ab. Die junge Frau war am vergangenen Dienstag nach ihrer
Festnahme durch die Religionspolizei ins Koma gefallen und am Freitag
in einem Krankenhaus gestorben.
In weiteren Städten sowie in Aminis Heimatprovinz Kurdistan gingen
etliche Menschen auf die Straße. Dabei kam es Medienberichten zufolge
auch zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrante
n.
In der Stadt Diwandareh sollen nicht unabhängig bestätigten Berichten
zufolge auch Schüsse gefallen sein. Von offizieller Seite gab es
zunächst keine Bestätigung. An mehreren Orten riefen die Teilnehmer
der Proteste: «Wir fürchten uns nicht, wir sind alle zusammen» - eine
Parole, die vor allem während der Demonstrationen nach der
umstrittenen Präsidentenwahl 2009 bekannt geworden war.
Im Iran und international hatte der Fall Aminis große Anteilnahme und
Bestürzung ausgelöst. Im Internet trauerten viele Iraner um die junge
Frau, die am Dienstag während eines Familienbesuchs in Teheran von
der Sitten- und Religionspolizei wegen ihres «unislamischen» Outfits
festgenommen und auf eine Polizeiwache gebracht worden war. Nach
Polizeiangaben war sie dort wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht
und danach ins Koma gefallen. Am Freitag wurde ihr Tod bestätigt.
Im Netz kursierte jedoch auch eine andere Version. Nach der
Verhaftung sei ihr Kopf im Polizeiauto gegen die Scheibe geschlagen
worden, was zu einer Hirnblutung geführt habe. Die Polizei wies diese
Darstellung vehement zurück. Die Klinik, in der die 22-Jährige
behandelt wurde, hatte nach ihrem Tod in einem inzwischen gelöschten
Post bei Instagram geschrieben, dass Amini bereits bei der Aufnahme
am Dienstag hirntot gewesen sei.
Die Polizei wies am Montag erneut jegliche Schuld am Tod der jungen
Frau zurück. Die Unterstellungen seien «grundlos», sagte der
Polizeichef der Hauptstadt, Hussein Rahimi, nach Angaben der
Nachrichtenagentur Mehr. Die Polizei sei stets bemüht, dass solche
Fälle nicht vorkommen, sagte Rahimi. «Es ist gesetzlich nun mal
unsere Aufgabe, Frauen an die Kleidervorschriften zu erinnern», so
der Polizeichef. «Was sie zu Hause tragen ist ihre Sache, aber nicht
in der Öffentlichkeit.» Der Frau hätten sie jedoch kein Haar
gekrümmt, versicherte Rahimi.
Die Polizei und auch die Regierung von Präsident Ebrahim Raisi sind
seit dem Tod Aminis und der landesweiten Kritik in Erklärungsnot. Die
Polizei versuchte mit mehreren nicht verifizierbaren Videoaufnahmen
ihre Unschuld zu beweisen. Die konservative Zeitung «Keyhan», die als
Stimme der Hardliner gilt, und andere Politiker der Regierung
stützten die Version. Sie werfen den Kritikern vor, Unruhe gegen die
islamische Republik zu stiften und Lügen verbreiten zu wollen.
Gleichzeitig ordnete Raisi an, den Fall gründlich zu überprüfen.
Prominente Iranerinnen schlossen sich aus Solidarität dem Protest
im Internet an, indem sie etwa ihre Haare abschnitten oder Bilder
ohne Kopftuch veröffentlichten. Unter ihnen waren etwa die bekannten
Schauspielerinnen Anahita Hemmati und Schabnam Farschaddschu.
Ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bezeichnete das,
was Amini zugestoßen ist, am Montag als inakzeptabel. Die Täter
müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem müssten die iranischen
Behörden dafür sorgen, «dass die Grundrechte ihrer Bürgerinnen und
Bürger geachtet werden und dass Personen, die sich in irgendeiner
Form in Haft befinden, keiner Misshandlung ausgesetzt werden»,
forderte er.
Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge
Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen und reicheren
Vierteln sehen viele Frauen die Regeln inzwischen eher locker - zum
Ärger erzkonservativer Politiker. Die Regierung Raisis und Hardliner
im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger
umzusetzen. Die Sittenpolizei setzt die Kleidungsvorschriften teils
auch mit Gewalt durch.