EuGH: Deutsche Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

20.09.2022 10:27

Das höchste EU-Gericht bleibt seiner Linie treu und setzt der
anlasslosen Vorratsdatenspeicherung enge Grenzen. Die bislang
unangewendete deutsche Regelung verstößt gegen EU-Recht. Das könnte
für Zwist in der Ampel-Koalition sorgen.

Luxemburg (dpa) - Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung
ist nach einem Urteil des höchsten EU-Gerichts nicht mit europäischem
Recht vereinbar. Eine allgemeine und unterschiedslose
Vorratsdatenspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten stehe dem
Unionsrecht entgegen. Das teilten die Richter des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) am Dienstag mit. Eine Ausnahme gilt demnach bei
einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit. Auch eine
allgemeine Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen ist zulässig. Der
EuGH bestätigt damit seine bisherige Rechtsprechung.

Der Satz von Verbindungs- und Standortdaten, die nach der deutschen
Regelung gespeichert werden sollen, kann nach Ansicht der Richter
sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen ermöglichen -
etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens oder das soziale Umfeld.
Damit könne ein Profil dieser Personen erstellt werden. Dies sei ein
Grundrechtseingriff, der eine gesonderte Rechtfertigung erfordere, so
die Richter.

Es ist nicht das erste Urteil für den EuGH in Sachen
Vorratsdatenspeicherung. Das höchste EU-Gericht hatte in den
vergangenen Jahren immer wieder über die Vorratsdatenspeicherung zu
entscheiden. Meist kippte er die nationalen Regelungen oder schränkte
sie deutlich ein.

Die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren hoch
umstritten: Während Sicherheitspolitiker in ihr ein zentrales
Instrument im Kampf gegen organisierte Kriminalität,
Kinderpornografie und Terrorismus sehen, halten Bürgerrechtler und
Verbraucherschützer sie für einen unzulässigen Eingriff in die
Privatsphäre.

Hintergrund des Urteils ist ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur
mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom. Die Unternehmen
wehren sich gegen eine Vorschrift, bestimmte Daten für den Zugriff
der Behörden aufzubewahren: etwa den Zeitpunkt und die Parteien eines
Telefonats. Dabei geht es zum Beispiel darum, wer wann mit wem wie
lange telefoniert hat oder mit welcher IP-Adresse jemand im Internet
unterwegs war. Die Inhalte der Kommunikation werden nicht
gespeichert. Die Bundesnetzagentur hatte die deutsche Regelung
bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Oberverwaltungsgericht
Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Speicherung der
Daten verpflichtet werden darf. Das war wenige Tage, bevor die neue
Regel eigentlich in Kraft treten sollte.

Dieses Gesetz hat nach dem EuGH-Urteil in seiner jetzigen Form keinen
Bestand mehr. Nun geht der Fall zurück an das
Bundesverwaltungsgericht. Das müsste feststellen, dass die deutschen
Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gegen EU-Recht verstoßen. Die
Bundesregierung müsste dann die Vorgaben des EuGH in einem neuen
Gesetz beachten.

Ob es ein neues Gesetz geben wird und wie das aussehen soll, ist
allerdings noch völlig unklar. Die Koalition war sich bei dem Thema
zuletzt uneins: Während Grüne und FDP die Vorratsdatenspeicherung
ablehnen, sprach sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zuletzt
zumindest für die Sicherung von IP-Adressen aus, um sexuellen
Missbrauch von Kindern im Internet besser verfolgen zu können.