Deutsche Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

20.09.2022 14:57

Grüne und FDP fühlen sich durch die Entscheidung des EuGH zur
Vorratsdatenspeicherung in ihrer Kritik bestätigt. Doch das Urteil
lässt dem Gesetzgeber einen gewissen Spielraum. Inwieweit die
Ampel-Koalition den ausnutzen wird, ist noch offen.

Luxemburg/Berlin (dpa) - Das oberste EU-Gericht hat der Speicherung
von Telekommunikationsdaten zur Aufklärung von Straftaten in
Deutschland mit einem neuen Urteil enge Grenzen gesetzt. Der
Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärte am Dienstag, die seit 2017
ausgesetzte deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung sei mit dem
EU-Recht unvereinbar (C-793/19 und C-794/19). Die Koalitionspartner
in Berlin zogen unterschiedliche Schlüsse aus dem Urteil.

Laut EuGH dürfen die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger

nicht ohne Anlass gespeichert werden. Eine gezielte und zeitlich
begrenzte Speicherung der Daten sei nur bei einer ernsten Bedrohung
für die nationale Sicherheit möglich, hieß es in dem neuen Urteil.
Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität könne auch eine
Vorratsspeicherung der IP-Adressen möglich sein.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte in Berlin: «Der
Koalitionsvertrag macht klar, was jetzt zu tun ist. Es gibt keine
anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten mehr.» Solche Daten
könnten künftig nur noch dann gespeichert werden, wenn «ein
ausreichender Anlass, also der Verdacht einer schweren Straftat und
ein plausibler Grund dafür vorliegt, dass diese Daten mit dieser Tat
in Verbindung stehen». Buschmann kündigte an, er wolle binnen zwei
Wochen einen Referentenentwurf für ein neues Gesetz vorlegen, um
schnell eine klare Rechtslage zu haben. Auf Twitter schrieb er nach
der Urteilsverkündung: «Wir werden die anlasslose
Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz
streichen.»

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, der Europäische
Gerichtshof habe deutlich klargestellt, welche Daten zum Schutz der
nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität
gespeichert werden dürften. Er habe auch ausdrücklich entschieden:
«IP-Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität
bekämpfen zu können.» Zudem gestatte er gezielte Anordnungen zum
Speichern für bestimmte Orte wie etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder für

Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung. Diese rechtlichen
Möglichkeiten müssten nun auch genutzt werden, sagte Faeser. Dabei
sei ihr die entschiedene Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen
Kinder besonders wichtig.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sei «eine erneute herbe
Klatsche» für die Befürworter der anlasslosen Speicherung von Daten,

denen es bis heute nicht gelungen sei, eine verfassungskonforme
Regelung vorzulegen, hieß es von der Grünen-Bundestagsfraktion. Der
Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour sagte: «In der Ampel haben wir eine
anlasslose Massenüberwachung aller Bürgerinnen und Bürger im
Koalitionsvertrag ohnehin ausgeschlossen.» Stattdessen wolle die
Koalition «rechtsstaatliche und wirksame Instrumente ergreifen, um
schwere Kriminalität zu bekämpfen». Deswegen sei es gut, dass der
Bundesjustizminister einen Entwurf für eine Quick-Freeze-Regelung
vorlegen werde. Damit könne die Bundesregierung dann «eine Maßnahme
auf den Weg bringen, die zielgerichtet Gefahren abwehrt und die
Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützt».

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz
(CSU), sagte: «Gut, dass nun endlich Klarheit herrscht.» Sie forderte

die Bundesregierung auf, zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Die bisherige deutsche Regelung, die wegen rechtlicher Unsicherheiten
seit 2017 nicht mehr angewandt wird, kann nach Ansicht der Richter
sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen ermöglichen -
etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens oder das soziale Umfeld.
Damit könne ein Profil dieser Personen erstellt werden. Dies sei ein
Grundrechtseingriff, der eine gesonderte Rechtfertigung erfordere,
erklärten die Richter. Der EuGH blieb damit seiner Linie treu. Das
höchste EU-Gericht hatte in den vergangenen Jahren immer wieder
nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gekippt oder stark
eingeschränkt.

Die SpaceNet AG, die die Klage angestrengt hatte, begrüßte das
Urteil: «Nach sechs Jahren Verfahren sind wir froh, dass das Thema
Vorratsdatenspeicherung endlich geklärt ist. Jetzt herrscht wieder
Rechtssicherheit für die Internetbranche, unsere Kunden und alle
Bürger», sagte der Vorstand der SpaceNet AG, Sebastian von Bomhard.

Auch der Digitalverband Bitkom zeigte sich erfreut: «Es macht keinen
Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung
von Verbindungsdaten abzuarbeiten. Die Politik ist aufgefordert,
andere, und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen
Forensik zu nutzen», sagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Bei den Beratungen der Ampel-Regierung über eine Nachfolgeregelung
zur Vorratsdatenspeicherung müssten zwei Dinge berücksichtigt werden,
forderte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen
Kopelke: In welchem Umfang Daten an die Ermittlungsbehörden übergeben
würden, dürfe nicht im Ermessen der Telekommunikationsanbieter
liegen. Außerdem schränke eine kurze Speicherdauer den Nutzen
drastisch ein. Er sagte: «Eine rechtskonforme und im polizeilichen
Alltag funktionierende Speicherung von Verkehrsdaten ist gleichsam
praktizierter Opferschutz und optimierte Strafverfolgung.»