Notenbanken im Wettlauf gegen die Inflation: Fed als Maßstab für EZB? Von Jörn Bender und Julia Naue, dpa

22.09.2022 14:09

Energisch geht die US-Notenbank gegen die extrem gestiegene Inflation
vor. Auch im Euroraum werden weitere Zinserhöhungen erwartet -
ungeachtet der Sorgen um die Konjunktur. Es gebe keinen schmerzlosen
Weg, fasst Fed-Chef Powell die Lage zusammen.

Frankfurt/Washington (dpa) - Die US-Notenbank Fed stemmt sich mit der
dritten kräftigen Zinserhöhung in Folge gegen die extrem hohe
Teuerungsrate. Und auch die Euro-Währungshüter bekräftigen ihre
Entschlossenheit zu weiteren Zinsanhebungen. «Die Menschen können
sich auf die EZB verlassen, die Inflation wird wieder sinken»,
versicherte Isabel Schnabel, Direktoriumsmitglied der Europäischen
Zentralbank (EZB), in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview.
«Die Menschen können uns vertrauen. Wir werden unsere Aufgabe
erfüllen und für stabile Preise sorgen.»

In den USA liegt der Leitzins nach der erneuten Anhebung um 0,75
Prozentpunkte nun in einer Spanne von 3 bis 3,25 Prozent. Das ist der
höchste Stand seit 14 Jahren. Doch der Chef der Federal Reserve
(Fed), Jerome Powell, machte nach der Entscheidung vom Mittwoch
deutlich, dass mit großen Zinsschritten noch lange nicht Schluss sei:
«Ohne Preisstabilität funktioniert die Wirtschaft für niemanden.»

Die Fed hat beginnend im März bereits fünf Mal im laufenden Jahr die
Zinsen erhöht. Erhöhungen des Leitzinses verteuern Kredite und
bremsen die Nachfrage. Das hilft, die Inflationsrate zu senken, kann
aber auch das Wirtschaftswachstum bremsen, da sich zum Beispiel
Kredite verteuern. Mit der Straffung der Geldpolitik wächst das
Risiko, dass die Wirtschaft so stark ausgebremst wird, dass
Arbeitsmarkt und Konjunktur abgewürgt werden. «Ich wünschte, es gebe

einen schmerzlosen Weg», sagte Fed-Chef Powell. «Den gibt es nicht.»


Auch unter den Euro-Währungshütern war lange die Sorge groß, mit
einer zu schnellen Normalisierung der seit Jahren ultralockeren
Geldpolitik die Konjunktur abzuwürgen. Viele Unternehmen haben sich
noch nicht völlig von den Folgen der Corona-Pandemie erholt und
müssen seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs nun auch noch extrem
gestiegene Energiepreise finanzieren.

Die EZB hatte nach langem Zögern im Juli die Wende hin zu höheren
Zinsen eingeleitet. Nach einer weiteren Zinsanhebung im September
liegt der Leitzins im Euroraum nun bei 1,25 Prozent. «Ich gehe davon
aus, dass der EZB-Rat in seiner nächsten Sitzung die Zinsen weiter
anheben wird», bekräftigte EZB-Direktoriumsmitglied Schnabel im
Interview mit dem Nachrichtenportal «t-online». Die nächste regulär
e
Sitzung des EZB-Rates ist für den 27. Oktober angesetzt.

«Angesichts eines nicht geringeren Inflationsdrucks in Europa zeigen
die Fed-Entscheidungen, wo auch bei der EZB die Reise hingeht»,
kommentierte Friedrich Heinemann vom ZEW - Leibniz-Zentrum für
Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim.

Steigende Energie- und Lebensmittelpreise haben die Inflation im
Euroraum im August auf das Rekordhoch von 9,1 Prozent getrieben. «Ein
großer Teil der Inflation geht (...) auf Faktoren zurück, die wir
nicht direkt beeinflussen können», erklärte Schnabel. «Kurzfristig

könnte es sein, dass die Inflation trotz der jüngsten Zinsanhebungen
noch weiter steigt.»

Die EZB strebt mittelfristig für den Euroraum stabile Preise bei zwei
Prozent Inflation an. Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft
von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen
Euro weniger leisten können.

Für Europas größte Volkswirtschaft Deutschland kommt die Zinswende
zur Unzeit. «Deutschland ist aufgrund der starken Abhängigkeit von
russischem Gas besonders hart getroffen. Hier lässt sich eine
Rezession möglicherweise nicht vermeiden», sagte Schnabel.

Dazu kommt: Während der Dollar von der straffen Geldpolitik der Fed
profitiert, gerät der Euro weiter unter Druck. In der Nacht auf
Donnerstag fiel die europäische Gemeinschaftswährung bis auf 0,9809
Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit etwa 20 Jahren. Da Rohöl
und andere Rohstoffe weltweit in der US-Währung abgerechnet werden,
verteuert das Energieimporte zum Beispiel nach Deutschland zusätzlich
und heizt die Inflation an.

Die Chefvolkswirte der privaten Banken in Deutschland erwarten, dass
die gesamtwirtschaftliche Leistung in Deutschland in vier Quartalen
in Folge bis zum Sommer 2023 sinken wird. Hohe Energiepreise,
steigende Kosten für Unternehmen und ein erheblicher Kaufkraftverlust
bei Verbrauchern infolge der extrem hohen Inflation werden die
deutsche Wirtschaft der am Donnerstag vorgelegten Prognose zufolge im
Winter in die Rezession rutschen lassen. Nach 1,4 Prozent Wachstum im
laufenden Jahr erwartet der BdB für 2023 in Deutschland einen
Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,3 Prozent. Zum
Vergleich: In der Corona-Krise 2020 war die deutsche Wirtschaft um
mehr als vier Prozent geschrumpft.

Auch andere Notenbanken stemmen sich gegen die gestiegene Inflation.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) beispielsweise hob am
Donnerstag ihren Leitzins erneut an - und zwar um 0,75 Prozentpunkte
auf 0,50 Prozent. Damit beendete die SNB nach fast acht Jahren ihre
Phase der Negativzinsen. Es sei nicht auszuschließen, dass weitere
Zinserhöhungen nötig seien, um die Preisstabilität in der mittleren
Frist zu gewährleisten, betonten die Schweizer Währungshüter.

Die britische Notenbank erhöhte ihren Leitzins im Kampf gegen die
Inflation ebenfalls weiter: um 0,5 Prozentpunkte auf 2,25 Prozent.
Die am Donnerstag beschlossene Anhebung ist die siebte Zinserhöhung
der Bank of England in Folge.