EuGH: Arbeiter müssen über Verjährung von Urlaub informiert werden Von Regina Wank, dpa

22.09.2022 15:13

Das oberste EU-Gericht gibt klare Grenzen für die Verjährung von
Urlaubsansprüchen vor - und nimmt besonders die Chefs in die Pflicht.

Luxemburg (dpa) - Gute Nachrichten für Angestellte: Der Europäische
Gerichtshof (EuGH) stärkt ihnen den Rücken bei der Verjährung von
Urlaubsansprüchen. Der EuGH mahnte am Donnerstag die Arbeitgeber,
dass sie Arbeitnehmer darauf hinweisen müssen, dass der Urlaub
verfallen könnte. Andernfalls bleibe der Anspruch auf Urlaub in
bestimmten Fällen bestehen, teilten die Richter in Luxemburg mit.
(C-120/21; C-518/20; C-727/20)

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte das Urteil. «Anhalten
de
Arbeitsüberlastung zum einen, Angst vor Repressionen zum anderen,
aber auch Krankheiten und Erwerbsminderung dürfen nicht dazu führen,
dass Beschäftigte ihren Urlaub nicht nehmen können und dieser
schlussendlich verfällt», sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Mit
Blick auf den Fachkräftemangel müssten Arbeitgeber ein hohes
Interesse daran haben, dass Beschäftigte zu ihrer verdienten Erholung
kämen und gesund blieben.

Hintergrund des Urteils sind drei Fälle aus Deutschland. In einem
Fall konnte die Klägerin ihren Urlaub nach eigener Aussage wegen des
hohen Arbeitsaufwands nicht nehmen und forderte eine Abgeltung der
Urlaubstage. Ihr Arbeitgeber argumentierte, dass die Urlaubsansprüche
nach der im Zivilrecht üblichen Frist von drei Jahren verjährt seien.
Das bestätigte der EuGH grundsätzlich: Der Arbeitgeber habe ein
berechtigtes Interesse daran, dass er nach drei Jahren nicht mehr mit
Forderungen nach Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht
genommenen Urlaub konfrontiert werde.

Es gibt den Richtern zufolge allerdings Einschränkungen: Der
Arbeitgeber muss selber Vorkehrungen treffen, dass solche späten
Anträge nicht vorkommen. Dazu gehören gewisse Hinweis- und
Aufforderungspflichten, also etwa der Fingerzeig darauf, dass der
Urlaub bald verfallen wird. Der Arbeitnehmer sei die schwächere
Partei. Deswegen dürfe die Verantwortung, den Urlaubsanspruch
durchzusetzen, nicht allein auf seinen Schultern liegen.

Die anderen beiden Fälle betreffen den Urlaubsanspruch bei Krankheit.
Die Kläger machen geltend, dass sie einen Anspruch auf bezahlten
Urlaub für das Jahr haben, in dem sie aus gesundheitlichen Gründen
erwerbsgemindert beziehungsweise arbeitsunfähig waren. Zum einen geht
es um einen Mitarbeiter, der klagte, weil ihm sein Arbeitgeber für
das Jahr 2014 seiner Ansicht nach noch 34 Arbeitstage Urlaub schulde,
die er aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte. Der
Arbeitgeber argumentiert, der nicht genommene Urlaub sei nach Ablauf
des Übertragungszeitraums im Jahr 2016 erloschen.

Im zweiten Fall war eine Mitarbeiterin im Jahr 2017 arbeitsunfähig
geworden und hat ihren Urlaub für dieses Jahr nicht vollständig
genommen. Der Arbeitgeber hatte sie den Angaben zufolge weder
aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass
nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder
Übertragungszeitraums verfallen könne.

Dem EuGH zufolge müsse man anerkennen, welche Schwierigkeiten sich
für den Arbeitgeber ergäben, wenn Angestellte lange Zeit am Stück
fehlten und Urlaubsansprüche ansammelten. Daher sei es grundsätzlich
richtig, dass bei Krankheit die Urlaubsansprüche nur 15 Monate
übertragen werden können und danach verfielen. Dies gilt demnach aber
nicht für die Ansprüche aus dem Zeitraum vor oder nach der Krankheit,

in dem der Angestellte tatsächlich gearbeitet hat. Auch hier liegt
der Ball beim Arbeitgeber: Er muss seine Mitarbeiter auf den
drohenden Verfall des Urlaubs hinweisen. Andernfalls würde der
Anspruch auf Urlaub inhaltlich ausgehöhlt.

Wann und wie oft der Arbeitgeber auf den Urlaub hinweisen muss,
sagten die Richter jedoch nicht. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet
über die Fälle abschließend in ein paar Monaten.