Selenskyj fordert Bestrafung Russlands - EU will schärfere Sanktionen

22.09.2022 20:23

Im UN-Sicherheitsrat kommt es bei einer Sondersitzung zum
Ukraine-Krieg zum Schlagabtausch mit Russland. Die EU will mit Härte
auf die russische Teilmobilmachung reagieren. Aber kann Moskau
überhaupt 300 000 Mann mobilisieren und den Kriegsverlauf ändern?

Kiew (dpa) - Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat den
russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgefordert, den Angriffskrieg
gegen die Ukraine zu stoppen. «Dies ist ein Krieg, den Sie nicht
gewinnen werden», sagte Baerbock während einer Sondersitzung des
UN-Sicherheitsrates zum Ukraine-Krieg am Donnerstag in New York.
Chinas Außenminister Wang Yi rief Russland und die Ukraine zur
Aufnahme von Friedensgesprächen ohne Vorbedingungen auf. Der
ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor von den
Vereinten Nationalen eine Bestrafung Russlands verlangt.

Die EU will mit weiteren Sanktionen auf die Teilmobilmachung
Russlands im Ukraine-Krieg reagieren. «Es ist klar, dass Russland
versucht, die Ukraine zu zerstören», sagte der EU-Außenbeauftragte
Josep Borrell nach einem Sondertreffen der EU-Außenminister am Rande
der UN-Generalversammlung in New York. Zugleich schert Ungarn aus der
EU-Sanktionsfront aus und fordert deren Aufhebung bis Jahresende. Die
von Moskau angeordnete Teilmobilmachung von 300 000 Reservisten
könnte nach Einschätzung westlicher Militärexperten für Russland eh
er
Probleme als Vorteile bringen.

Selenskyj fordert vor Vereinten Nationen Bestrafung Russlands

«Es wurde ein Verbrechen gegen die Ukraine begangen, und wir fordern
ein Bestrafung», sagte Selenskyj am Mittwoch (Ortszeit) in einer
Videobotschaft vor der UN-Vollversammlung in New York. Russland müsse
bestraft werden für das Morden, die Folter, die Erniedrigungen und
die desaströsen Turbulenzen, in die es die Ukraine gestürzt habe.

Dazu gehörten internationale Sanktionen. Moskau müsse aber auch in
internationalen Organisationen isoliert werden. Außerdem müsse ein
Sondertribunal eingerichtet werden, um Russland für Verbrechen in dem
Krieg zur Rechenschaft zu ziehen. Selenskyj forderte auch weitere
Visarestriktionen für russische Bürger. Sie sollten nicht zum
Einkaufen oder Urlaub in andere Länder reisen können. Die Ukraine
will Selenskyj zufolge auch einen internationalen
Entschädigungsmechanismus durchsetzen. «Russland sollte für diesen
Krieg mit seinem Vermögen bezahlen», sagte er.

Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Ukraine-Krieg

UN-Generalsekretär António Guterres sieht die von Russland
unterstützten Scheinreferenden in mehreren Gebieten der Ostukraine
als möglichen Bruch des Völkerrechts. US-Außenminister Antony Blinken

forderte Russland auf, seine Drohungen mit Atomwaffen zu beenden.
Dass Russland das Feuer, das es gelegt habe, weiter anheize, zeige
eine völlige Verachtung der UN-Charta, sagte Blinken. Als Reaktion
auf die russische Teilmobilmachung sagte Baerbock: «Hören Sie auf,
noch mehr ihrer eigenen Bürger in den Tod zu schicken.» Aus Sicht des
ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba hat Kremlchef mit der
angekündigten Teilmobilisierung eine Niederlage Russlands
eingestanden.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow verteidigte wie erwartet
den Angriffskrieg gegen die Ukraine. «Wir haben keinen Zweifel daran,
dass die Ukraine zu einem völlig totalitären Nazi-ähnlichen Staat
geworden ist, in dem die Normen des humanitären Völkerrechts mit
Füßen getreten werden», sagte Lawrow, ohne Belege für seine
Anschuldigungen vorzulegen. Lawrow warf dem Westen wegen dessen
Waffenlieferungen eine direkte Einmischung in den Krieg vor. Lawrow
hatte den Saal während der Sondersitzung zu spät betreten und dann
direkt nach seiner Rede wieder verlassen.

EU strebt neue Sanktionen an

«Wir werden neue restriktive Maßnahmen sowohl auf persönlicher als
auch auf sektoraler Ebene ergreifen», sagte Borrell. Dies solle in
Abstimmung mit den internationalen Partnern geschehen. Die
Strafmaßnahmen würden weitere Auswirkungen auf die russische
Wirtschaft haben, etwa auf den Technologie-Sektor. Zudem sagte
Borrell, dass die Ukraine weitere Waffen erhalten solle.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilte CNN im
Anschluss an ein Interview mit dem US-Sender schriftlich mit, dass es
um Sanktionen gegen russische Einzelpersonen und Einrichtungen
innerhalb und außerhalb Russlands sowie um zusätzliche
Exportkontrollen für zivile Technologie gehe.

Ungarn will Aufhebung der Sanktionen

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban verlangt die Aufhebung
der EU-Sanktionen gegen Russland spätestens bis Ende des Jahres. Die
nach dem Angriff auf die Ukraine verhängten Strafmaßnahmen gegen
Moskau seien den Europäern «von den Brüsseler Bürokraten
aufgezwungen» worden, sagte der Rechtspopulist nach Angaben der
regierungsnahen Tageszeitung «Magyar Nemzet». Die Sanktionen
verursachten Wirtschaftsprobleme, die Energiekrise und die Inflation,
erklärte er demnach weiter. Orban pflegt ein gutes Verhältnis zum
Kremlchef Wladimir Putin. Die Sanktionsbeschlüsse der EU erfordern
Einstimmigkeit unter den Mitgliedsländern.

Zweifel an Russlands Fähigkeiten zur Teilmobilisierung

Westliche Militärexperten bezweifeln, dass Russland mit seiner
Teilmobilisierung das Kriegsgeschehen in der Ukraine rasch zu seinen
Gunsten wenden kann. «Russlands Teilmobilisierung wird der Ukraine
nicht die Möglichkeit nehmen, mehr besetztes Gebiet bis zum und im
Winter zu befreien», so das Institute for the Study of War. Der
Militärexperte Mick Ryan schrieb auf Twitter, die russischen Truppen
seien nach acht Monaten im Kampfeinsatz erschöpft. Das britische
Verteidigungsministerium meinte, Russland werde wahrscheinlich mit
logistischen und administrativen Herausforderungen zu kämpfen haben,
die 300 000 Soldaten auch nur zu mustern. In der Hoffnung, Kampfkraft
zu generieren, gehe Präsident Putin ein beträchtliches politisches
Risiko ein.

Nach Protesten noch mehr als 1300 Menschen in Haft

Nach Protesten gegen die Teilmobilmachung in Russland hat die Polizei
am Donnerstagmorgen Bürgerrechtlern zufolge noch mehr als 1300
Menschen in Gewahrsam gehalten. Allein in der Hauptstadt Moskau waren
es etwa 530 Protestler, in Sankt Petersburg 480, wie das
Bürgerrechtsportal OVD-Info auflistete. Von staatlicher Seite gab es
keine Angaben zu den Protesten. Bei den ersten größeren Kundgebungen
der russischen Anti-Kriegs-Bewegung seit März waren am Mittwoch in
vielen Städten junge Leute auf die Straße gegangen, darunter viele
Frauen, die um das Leben ihrer Männer, Brüder und Söhne fürchten.