EZB-Präsidentin: Weitere Zinserhöhungen im Kampf gegen hohe Inflation

18.11.2022 14:56

Die hohe Teuerung stellt Verbraucher und Unternehmen vor große
Herausforderungen. Doch auch auf anderen Feldern hat Europa noch eine
Menge Arbeit vor sich.

Frankfurt/Main (dpa) - Europas Währungshüter versprechen einen
entschlossenen Einsatz gegen die nach wie vor rekordhohe Inflation.
«Wir gehen davon aus, dass wir die Zinssätze weiter anheben werden»,

sagte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine
Lagarde, am Freitag bei einem Bankenkongress in Frankfurt.
«Letztendlich werden wir die Zinsen auf ein Niveau anheben, das die
Inflation rechtzeitig auf unser mittelfristiges Ziel zurückführt.»

Bundesbank-Präsident Joachim Nagel mahnte «weitere entscheidende
Schritte» an. Er hielte es für «falsch, aus Angst vor einem Abschwung

mit weiteren entscheidenden Schritten zu warten». Die Geldpolitik
dürfe nicht zu früh nachlassen. «Die Inflation ist eine harte Nuss,
die es zu knacken gilt. Wenn wir sie knacken wollen, muss auch die
Geldpolitik hart sein», sagte der Bundesbank-Präsident, der im
EZB-Rat über den geldpolitischen Kurs mitentscheidet.

Ähnlich argumentierte bei dem Kongress der Chef der niederländischen
Notenbank, Klaas Knot: Es brauche jetzt ein «entschlossenes Eintreten
für Preisstabilität», sonst werde die «Zähmung der Inflation»
wesentlich teurer werden.

Die EZB strebt für den Euroraum mittelfristig Preisstabilität bei
zwei Prozent Teuerung an. Im Oktober lagen die Verbraucherpreise im
Währungsraum der 19 Länder um 10,6 Prozent über dem Niveau des
Vorjahresmonats. «Die Inflation im Euroraum ist viel zu hoch»,
stellte Lagarde fest. Zudem sei das Risiko einer Rezession gestiegen,
obwohl die jüngsten Konjunkturdaten positiv überrascht hätten.

Nach langem Zögern stemmt sich die EZB seit Juli mit kräftigen
Zinserhöhungen gegen die extrem hohe Teuerung. Der Leitzins im
Euroraum, der jahrelang auf dem Rekordtief von null Prozent
eingefroren war, liegt inzwischen bei 2,0 Prozent. Deutsche-Bank-Chef
Christian Sewing lobte Lagarde für das Umsteuern: «Ich möchte Sie zu

der Art und Weise beglückwünschen, wie es Ihnen gelungen ist, die
Geldpolitik umzukrempeln.»

Lagarde kündige an, die EZB werde auch ihre anderen geldpolitischen
Instrumente normalisieren. Die über Jahre durch milliardenschwere
Wertpapierkäufe angeschwollene EZB-Bilanz müsse «maßvoll» und «
auf
vorhersehbare Weise» normalisiert werden: «Im Dezember werden wir die
wichtigsten Grundsätze für den Abbau der Anleihenbestände in unserem

Ankaufprogramm darlegen.» Der EZB-Rat tagt wieder am 15. Dezember.

Bundesbank-Präsident Nagel sprach sich dafür aus, Anfang 2023 damit
zu beginnen, den Umfang der milliardenschweren Anleihenbestände im
Eurosystem zu reduzieren, indem nicht mehr alle Gelder aus fällig
werdenden Papieren wieder neu investiert werden: «Die zusätzliche
Straffung würde dazu beitragen, die Inflation zu senken.»

Über den Kampf gegen die Inflation hinaus sieht Deutsche-Bank-Chef
Sewing dringenden Bedarf, den europäischen Kapitalmarkt
wettbewerbsfähiger zu machen. Europa müsse «dringend umsteuern, wenn

wir die Zukunft Europas nicht in erster Linie von ausländischen
Banken finanzieren lassen wollen», mahnte Sewing, der auch Präsident
des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB) ist.

«Wir brauchen eine Agenda 2030 für Europa. Und der allererste Schritt
muss sein, dass wir endlich einen echten europäischen Heimatmarkt
schaffen», forderte Sewing. Ohne eine deutliche Steigerung privater
Investitionen könne Europa nicht wettbewerbsfähig sein. «Wir werden
weder die nachhaltige Transformation meistern noch technologisch
mithalten können», warnte Sewing. «Deshalb ist es so wichtig, die
Kapitalmarktunion endlich voranzutreiben, um einen liquiden und
attraktiven Markt für in- und ausländische Investoren zu schaffen.»

Bei der Kapitalmarktunion geht es im Kern darum, bürokratische Hürden
zwischen den einzelnen Staaten der Europäischen Union abzubauen, um
Unternehmen mehr Möglichkeiten zu geben, sich Geld zu beschaffen.
Seit 2015 liegen Pläne der EU-Kommission dafür auf dem Tisch.

Sewing forderte zugleich eine Neujustierung der Bankenregulierung: Es
werde «immer deutlicher, dass der derzeitige regulatorische Rahmen
wenig zur Stärkung der europäischen Banken beiträgt». EZB-Präside
ntin
Lagarde betonte ebenfalls die Bedeutung eines widerstandsfähigen
Finanzsektors zur Bewältigung der milliardenschweren
Herausforderungen der kommenden Jahre: «Eine zu weitgehende
Regulierung würde die Banken anfälliger für Schocks machen und sie
weniger in die Lage versetzen, die Übergänge zu unterstützen, von
denen unser künftiges Wachstum abhängen wird.»