Finanzhilfen als Hoffnungsschimmer? Klimagipfel ringt um Durchbruch Von Larissa Schwedes, Johannes Sadek, Martina Herzog und Torsten Holtz, dpa

18.11.2022 17:09

Seit fast zwei Wochen diskutiert man auf der Klimakonferenz. Es geht
um die Lebensgrundlagen von Millionen Menschen - und um
Milliardensummen. Doch der Endspurt zieht sich hin.

Scharm el Scheich (dpa) - Die Nerven liegen blank und hinter
verschlossenen Türen wird um jedes einzelne Wort gefeilscht - die
Nachspielzeit auf der Weltklimakonferenz hat begonnen. Die Verhandler
aus rund 200 Staaten ringen um eine Einigung bei der Finanzierung von
Klimaschäden in ärmeren Staaten. «Es wird ein intensiver Tag,
wahrscheinlich auch eine intensive Nacht», sagte am Freitag
Außenministerin Annalena Baerbock voraus, die für Deutschland als
Chef-Verhandlerin in die ägyptische Wüste nach Scharm el Scheich
gereist ist.

Wird sich die Staatengemeinschaft erstmals in ihrer Geschichte dazu
verpflichten, Geld für Schäden durch klimabedingte Dürren, Stürme,

Überschwemmungen oder steigende Meeresspiegel in ärmeren Ländern in
die Hand zu nehmen? Ein solcher Durchbruch gilt Experten als
Hoffnungsschimmer des Treffens, bei dem es sonst an vielen Ecken und
Enden hakt.

«Die große Frage ist am Ende dieser Konferenz, ob die vielen Menschen
in vulnerablen Ländern am Ende eine klare Entscheidung bekommen, dass
ein Fonds etabliert wird, der die Schäden und Verluste sehr schnell
und zeitnah ausgleichen kann», sagte der deutsche Greenpeace-Chef
Martin Kaiser der Deutschen Presse-Agentur. «Hier muss richtig
geliefert werden», unterstrich auch die deutsche Klimaaktivistin
Luisa Neubauer im dpa-Gespräch.

Ein Knackpunkt in der Diskussion: Sind auch Länder, die besonders
viel Treibhausgase ausstoßen, bereit, sich zu diesem Fonds zu
bekennen und auf die Dauer auch einzuzahlen? Umstritten ist dabei
unter anderem die Rolle Chinas. Das Land will im internationalen
Klimaschutz weiter als Entwicklungsland behandelt werden, so wie es
vor 30 Jahren im Kyoto-Protokoll festgelegt wurde. Westliche Staaten
aber wollen China wegen seiner Wirtschaftskraft und der Rolle als
größter Verursacher von Treibhausgasen nicht länger als Empfängerla
nd
für Gelder einstufen.

Seit dem späten Donnerstagabend liegt bei dem Streitthema ein Vorstoß
der EU auf dem Tisch, die sich selbst als kompromissbereiter
Vermittler sieht. Nach langer Zurückhaltung ist der Staatenbund nun
unter bestimmten Bedingungen bereit, grünes Licht für einen Geldtopf
für Klimaschäden zu geben. EU-Kommissionsvize Frans Timmermans sagte,
ein Fonds sei zwar nicht die bevorzugte Variante der EU, aber man
gehe einen Schritt auf die Forderung der Entwicklungsländer zu.
Blockaden aufzubrechen sei gewissermaßen die Jobbeschreibung der
Europäischen Union, lobt man sich in europäischen
Verhandlungskreisen. Allerdings knüpft die EU ihre Bereitschaft an
Bedingungen: Zum einen müssten die Gelder nur den verletzlichsten
Staaten zugutekommen, sagte Timmermans. Und es müsse sichergestellt
werden, dass die Ausgleichszahlungen mit mehr Ehrgeiz bei der
Eindämmung der Erderwärmung einhergehen.

Auch Außenministerin Baerbock stellte klar, dass Rückschritte beim
Klimaschutz für die EU inakzeptabel wären. «Schlimmer als kein
Ergebnis wäre ein Ergebnis, den Konsens von Glasgow und von Paris
aufzuweichen, zu verwässern oder gar zurückzudrehen», sagte die
Grünen-Politikerin mit Blick auf frühere Klimakonferenzen.

In einem am Freitagmorgen veröffentlichten Entwurf für die
Abschlusserklärung des Gipfels wird zwar ein schrittweiser
Kohleausstieg gefordert. Die Forderung etlicher Staaten, darin auch
den Abschied von Öl und Gas festzuschreiben, wird aber nicht
aufgegriffen. Die Konferenz kriege es «nicht auf die Kette», in einem
Abschlussdokument klarzustellen, dass Schluss sein müsse mit allen
fossilen Energieträgern, kritisierte Neubauer. «Das sagt ganz schön
viel über die Klimakonferenz.» Auch Jan Kowalzig von Oxfam
Deutschland hält das Papier für «keinen großen Wurf» und sieht ke
ine
Signalwirkung für einen angemessenen Klimaschutz. «Das ist zum Teil,
was wir schon hatten - oder sogar noch abgeschwächt. Das ist
ungenügend.»

Ob sich in der Verlängerung der Konferenz dabei noch etwas tut, hängt
auch mit dem Streit um die Klimaschäden-Finanzierung zusammen.
Verhandler berichten, dass einige Staaten für ein Einlenken bei einem
Thema Zugeständnisse bei anderen Themen erwirken wollen. Viel hängt
auch von den größten Treibhausgas-Verursachern - China und auf Platz
zwei die USA - ab, die mittlerweile immerhin wieder miteinander
reden. Der US-Klimabeauftragte John Kerry habe am Donnerstagabend
fast drei Stunden lang mit Chinas Klimaunterhändler Xie Zhenhua
gesprochen, sagten Beobachter der Klima-Denkfabrik E3G, die die
Beratungen aus der Nähe verfolgten. China hatte den Klimadialog mit
den USA in Spannungen um Taiwan im August abgebrochen.

Dass Verhandler und Beobachter nach dem offiziellen Ende der
Klimakonferenz ohne viel Schlaf und Versorgung auskommen müssen, hat
Tradition: In den vergangenen 20 Jahren ist laut dem Klima-Portal
«Carbon Brief» keins dieser jährlichen Treffen pünktlich zu Ende
gegangen. Der ägyptische Präsident der Konferenz, Samih Schukri,
sagte am Freitagnachmittag, er wolle das UN-Treffen am Samstag zu
Ende bringen. Er gab die Parole aus: «Wir müssen erneut einen Gang
hochschalten.» Von den Organisatoren hieß es jedoch schon, Essen und
Busse auf der Konferenz seien bis Sonntagabend sichergestellt.