Klimakrise: Die Welt bleibt bei Symptombehandlung Von Martina Herzog, Johannes Sadek und Larissa Schwedes, dpa

20.11.2022 16:01

Wenn die Weltgemeinschaft die Erderwärmung in einem halbwegs
erträglichem Rahmen halten will, muss sie sich ranhalten. Doch die
Klimakonferenz am Roten Meer lässt erneut eine Gelegenheit
verstreichen. Dennoch fällt eine historische Entscheidung.

Scharm el Scheich (dpa) - Erwartet wurde ein «Feuerwerk» erhitzter
Argumente, zu sehen war allenfalls ein Teelicht: Die öffentliche
Auseinandersetzung der Delegierten aus aller Welt um den von manchen
heiß ersehnten Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bleibt aus bei der
Klimakonferenz in Scharm el Scheich. Nach zweiwöchigen Beratungen ist
die Weltgemeinschaft praktisch keinen Schritt weiter bei der
Bekämpfung des Klimawandels - hat sich aber in einer historischen
Entscheidung auf einen Hilfstopf für ärmere Länder geeinigt, die
besonders unter dessen verheerenden Folgen leiden.

Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind schon abgereist, als der
ägyptische Konferenzpräsident Samih Schukri in der Nacht zum Sonntag
mit monotoner Stimme eine Abstimmung nach der anderen abwickelt. Müde
Delegierte - und keine Kraft mehr für große Kämpfe.

Trotz alldem liegt im Morgengrauen von Scharm el Scheich auch ein
Funken Hoffnung. In Ägypten ist gelungen, was Menschen an der
vordersten Front der zunehmend heftiger wütenden Klimakrise seit
Jahrzehnten fordern: Reiche Staaten, deren hoher Ausstoß
von Treibhausgasen die Erderwärmung maßgeblich befeuert hat, werden
zur Kasse gebeten, wenn Wirbelstürme, Fluten oder Dürren in ärmeren

Ländern Lebensgrundlagen zerstören. Beobachter feiern die Einigung
auf einen festen Finanztopf für diese Schäden als «Meilenstein»,
Außenministerin Annalena Baerbock als «neues Kapitel in der
Klimapolitik».

Weniger als 24 Stunden zuvor scheint selbst eine gemeinsame
Abschlusserklärung noch ungewiss. In einer dramatischen Intervention
drohen Deutschland und die EU, den Pakt notfalls platzen zu lassen.
«Wir können nicht akzeptieren, dass das 1,5-Grad Ziel hier und heute
stirbt», warnt der EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans am
Samstagmorgen.

Außenministerin Baerbock mahnt, um diese international vereinbarte
Grenze zur Abwendung der katastrophalsten Folgen der Erderwärmung
noch zu erreichen, müsse die Welt ihre Anstrengungen mehr als
verdoppeln. Spätestens 2025 müsse der Höchststand des
Treibhausgasausstoßes erreicht sein. Und schon im nächsten Jahrzehnt
müsse der Ausstoß an Treibhausgasen halbiert werden. «Wenn man nicht

genug tut, um Emissionen zu reduzieren und das 1,5-Grad-Ziel
einzuhalten, kann kein Geld der Welt mehr das Leid lindern, das durch
Naturkatastrophen entstehen wird», so Timmermans düster.

Grünes Licht will die EU, die für ihre Mitgliedsstaaten gemeinsam
verhandelt, zu diesem Zeitpunkt nur mit mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz
geben. Dies unter der Bedingung, dass auch Länder wie das
wirtschaftsstarke China, das auch die meisten Treibhausgase ausstößt,
in den Topf einzahlen müssen. Soweit die vollmundig ausgegeben roten
Linien - die aber nicht lange halten sollten.

«Falls irgendwer gehofft hatte, dass das hier der Ort ist, wo die
Klimakrise bewältigt wird, können wir verkünden, dass das nicht der
Fall ist», kommentiert die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer
bitter, nachdem der Hammer ohne entscheidende
Klimaschutz-Fortschritte gefallen ist. Der Experte Niklas Höhne von
der Denkfabrik New Climate Institute wird noch deutlicher: «Das
1,5-Grad-Limit bleibt weiter auf der Intensivstation, bei sich
verschlechterndem Zustand.»

Als Baerbock, Timmermans und Co. am Sonntagmorgen vor die Kameras
treten, ist längst klar, dass die knallharten Ansagen vom Tag vorher
ein Bluff waren. Die deutsche Außenministerin spricht von einem
«Ergebnis mit Hoffnung, aber auch mit großer Frustration».
Timmermanns sagt, bei der Frage von Ausgleichszahlungen für
Klimaschäden in ärmeren Ländern habe die Europäische Union vor eine
m
«moralischen Dilemma» gestanden. Die Vorlage von Scharm el Scheich
sei beim Klimaschutz nicht weit genug gegangen, aber «wenden wir uns
deshalb ab und vernichten einen Fonds, für den verwundbare Länder
über Jahrzehnte so hart gekämpft haben»? So ein Schritt wäre ein
«gewaltiger Fehler und eine große verpasste Gelegenheit» gewesen,
verteidigt er sich.

Doch hatte der Vorstoß je eine Chance? Mit ihren hoch gesteckten
Zielen für die Konferenz bewegten Deutschland und die EU sich
zwischen mächtigen Staaten, die ihren Einfluss still aus dem
Hintergrund wirken ließen. Für Öl-Riesen wie Russland, Iran und
Saudi-Arabien sind Formulierungen zum Ausstieg aus den fossilen
Energieträgern ein rotes Tuch. Öffentlich treten sie in Scharm el
Scheich kaum in Erscheinung, doch in den Gesprächen bilden sie einen
festen Block gegen mehr Klimaschutz.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der die Klimakrise durch
einen neuen Wettlauf um fossile Energiequellen noch verschärft hat,
wirkt an einigen Konferenztagen ganz weit weg. Dass Aktivisten den
wohl einzigen öffentlichen Termin eines russischen
Regierungsvertreters kurzzeitig stören, geht fast unter.

Wer mehr erfahren wollte über die Positionen der USA und Chinas -
nach wie vor die größten Verursacher klimaschädlicher Emissionen -
hatte es schwer. Amerikanische Reporter gerieten in die bizarre Lage,
die europäische Delegation zur Haltung der US-Regierung fragen zu
müssen, weil diese zu heißen Themen wie Klima-Ausgleichszahlungen den
Kanal ziemlich dicht machte. Chinas Klimaunterhändler Xie Zhenhua
tauchte mal hier, mal dort auf, zu einem Termin mit dem
US-Klimabeauftragten John Kerry auch unangekündigt.

Unter Leitung der ägyptischen Gastgeber, die nach Einschätzung
mancher Beobachter undurchsichtig agierten, steuerte das Treffen auf
eine Bauchlandung zu. Das Misstrauen gegenüber der Konferenzleitung
wuchs, von chaotischen Abläufen war die Rede. Über
Kompromissvorschläge etwa konnten Unterhändler ihren Delegationen
teils nur aus dem Gedächtnis berichten, weil sie weder Papiere
erhielten noch Notizen machen durften. Zur Halbzeit der Konferenz
beschwerte die deutsche Botschaft sich bei der Regierung in Kairo
über Beobachtung durch Sicherheitsleute, die in Zivil, manche mit
Funkgeräten, auf dem UN-Gelände und nicht zuletzt am deutschen
Pavillon herumgeisterten.

Eine persönliche Begegnung mit Außenminister Schukri, dessen Land
immer wieder in der Kritik steht wegen Verletzungen von
Menschenrechten, wurde Außenministerin Baerbock offenbar verwehrt.
Die Grünen-Politikerin sagte am Sonntag: «Es hat hier kein Treffen
zwischen dem ägyptischen Außenminister und der deutschen
Außenministerin gegeben.»