EU-Kommission schlägt Gaspreisdeckel im EU-Großhandel vor

22.11.2022 18:35

Seit Monaten wird in Brüssel über einen Höchstpreis für Gas
gestritten, um die hohen Energiepreise zu drücken. Kurz vor einer
Sondersitzung der EU-Energieminister macht die EU-Kommission einen
entscheidenden Vorschlag.

Straßburg (dpa) - Die Europäische Kommission hat nach monatelangen
Diskussionen einen festen Gaspreisdeckel im europäischen Großhandel
vorgeschlagen. Unter bestimmten Bedingungen soll es einen
Maximalpreis für Gas geben, das einen Monat im Voraus am
Großhandelsplatz TTF gehandelt wird. «Es ist ein Mechanismus der
letzten Instanz, um übermäßig hohe Preise, die nicht mit den globalen

Preistrends übereinstimmen, zu verhindern und wenn nötig zu
bekämpfen», sagte EU-Energiekommissarin Simson am Dienstag in
Straßburg. Die EU-Staaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen. Die
Bundesregierung sieht einen solchen Gaspreisdeckel kritisch, viele
andere EU-Staaten bestehen jedoch darauf.

Anders als die Gaspreisbremse der Bundesregierung gilt der Deckel für
Großkunden, die am TTF einkaufen, und nicht für Endverbraucher. Der
Deckel würde automatisch greifen, wenn der Preis für im Folgemonat zu
lieferndes Gas zwei Wochen lang 275 Euro pro Megawattstunde
übersteigt und gleichzeitig mindestens 58 Euro höher ist als der
Referenzpreis für Flüssiggas (LNG) am Weltmarkt. Aufträge oberhalb
des Preislimits würden dann nicht mehr akzeptiert. Der Mechanismus
soll ab Januar ein Jahr lang gelten. Um Engpässe bei der Versorgung
zu vermeiden, soll der Preisdeckel regelmäßig überprüft und jederze
it
außer Kraft gesetzt werden können.

Hintergrund des Vorschlags ist der starke Anstieg der Gaspreise
angesichts der drastischen Kürzung russischer Gaslieferungen. So
erreichte der aktuelle Gaspreis am TTF im August einen Rekordwert von
ungefähr 350 Euro pro Megawattstunde. Seitdem ist er stetig gesunken
auf rund 116 Euro pro Megawattstunde - immer noch ein Vielfaches im
Vergleich zu vergangenem Jahr.

Der Mechanismus könnte der Kommission zufolge ähnliche Preisspitzen
wie im August eindämmen und so die Märkte beruhigen, da viele
europäische Lieferverträge an den TTF-Preis gekoppelt sind. Der
Deckel ist demnach aber kein Instrument, um die Preise dauerhaft zu
senken.

Gas könnte dem Vorschlag zufolge weiterhin frei außerhalb des TTF
gehandelt werden und der sogenannte Spotpreis für Gas wäre nicht
betroffen. Am Spotmarkt kaufen und verkaufen Anbieter kurzfristig
Mengen, um etwa die Versorgung des nächsten Tages abzusichern. Die
EU-Kommission schlägt auch vor, das EU-Gaseinsparziel von 15 Prozent
verpflichtend zu machen. So soll verhindert werden, dass der
Gasverbrauch steigt.

Ob die EU-Staaten sich auf den Vorschlag einigen können, ist
allerdings alles andere als sicher. «Es besteht das große Risiko,
dass dieser Vorschlag den Streit zwischen den Mitgliedstaaten nicht
schlichten kann und weitere wertvolle Zeit verloren geht», sagte der
EU-Abgeordnete Rasmus Andresen (Grüne) der Deutschen Presse-Agentur.

Eine Mehrheit der EU-Staaten unterstützt einen Maximalpreis am TTF -
besonders Italien, Polen, Belgien und Griechenland pochen darauf.
Ihnen dürfte der Vorschlag der Kommission jedoch nicht weit genug
gehen, da die Bedingungen für die Preisgrenze relativ streng sind. So
kommentierte etwa Andresen, dass der Mechanismus im August nicht
ausgelöst worden wäre, hätte er da schon existiert, da die
Preisgrenze nicht zwei Wochen lang überschritten wurde.

Deutschland, die Niederlande und wenige andere Staaten stehen einem
Preisdeckel skeptisch gegenüber und befürchten, dass es Probleme mit
der Versorgungssicherheit geben könnte. Die Bundesregierung dürfte
darauf hoffen, dass der Mechanismus so beschlossen wird, dass er wohl
nie zum Einsatz kommt.

Nach Ansicht des Energie-Experten Lion Hirth von der Hertie School in
Berlin könnte der Preisdeckel dazu führen, dass Händler auf andere
Handelsplätze als den TTF ausweichen und etwa bilateral Verträge
abschließen. «Ob dann überhaupt noch ein einziger Verkäufer an der

Börse wäre, weiß ich nicht.» Händlern bliebe auch die Möglichke
it,
ihr Gas zu dem gedeckelten Preis schlicht nicht zu verkaufen, sagte
Hirth der dpa. «Selbst ohne Ausweichbewegung besteht aus meiner Sicht
die ganz realistische Chance, dass der Markt komplett austrocknet.»

Auch die Energiebörse EEX warnte vor der Gaspreisobergrenze. Diese
stelle eine Gefahr für die finanzielle Stabilität und die
Versorgungssicherheit dar, hieß es in einer Mitteilung. Vor der
Anwendung einer Preisobergrenze müsse eine Bewertung der Risiken
erfolgen.

Am Donnerstag treffen sich die EU-Energieminister, um den Vorschlag
der Kommission zum ersten Mal zu besprechen. Thema sollen auch zuvor
vorgeschlagene Notfallgesetze über gemeinsame Gaseinkäufe und
schnellere Genehmigungen etwa für Solaranlagen sein. Diese gelten als
weniger umstritten als der Gaspreisdeckel.