Gericht: Titandioxid-Pulver zu Unrecht als krebserregend eingestuft

23.11.2022 14:57

Es steckt in Sonnencreme, Wandfarbe und Medikamenten: Titandioxid.
Ist es tatsächlich krebserregend, wenn man den Stoff einatmet? Die
EU-Kommission sagt Ja - hat damit aber nun eine Schlappe vor dem
EU-Gericht erlitten.

Luxemburg (dpa) - Die EU durfte den weit verbreiteten Weißmacher
Titandioxid in Pulverform nicht als krebserregend einstufen. Das
entschied das EU-Gericht am Mittwoch in Luxemburg und erklärte eine
entsprechende Verordnung der EU-Kommission für nichtig. Gegen das
Urteil kann noch Einspruch beim Europäischen Gerichtshof (EuGH)
eingelegt werden. (Rechtssachen T-279/20, T-288/20 und T-283/20)

Titandioxid steckt beispielsweise in Wandfarbe, Zahnpasta und
Sonnencreme. Oft hat der Stoff gar keine funktionale Bedeutung,
sondern sorgt nur dafür, dass Pasten oder Pillen weißer aussehen. Das
Farbpigment steht seit einigen Jahren in Verdacht, krebserregend zu
sein.

In Lebensmitteln ist Titandioxid seit Anfang des Jahres verboten,
weil negative Effekte auf das menschliche Erbgut und mögliche
Krebsrisiken nicht ausgeschlossen werden konnten. Daran ändert auch
das neue Urteil nichts. Dabei ging es um die Pulverform des Stoffes -
die EU-Kommission hatte 2019 entschieden, dass das Farbmittel
krebserregend ist, wenn es als Pulver eingeatmet wird.

Genau ging es um Pudergemische mit einem Gehalt von mindestens einem
Prozent Titandioxid in Partikelform oder eingebunden in Partikel mit
einem aerodynamischen Durchmesser von höchstens zehn Mikrometern.
Titandioxid wurde damit nicht verboten, musste aber mit einem
Warnhinweis versehen werden. Dagegen hatten verschiedene Hersteller
und Händler geklagt.

Das EU-Gericht gab ihnen nun Recht. Die EU-Kommission und die
zuständige Europäische Chemikalienagentur hätten einen
offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit der
Studie begangen, auf der die Einstufung beruhte, kritisierten die
Richter.

Eine solche Einstufung müsse auf zuverlässigen und anerkannten
Untersuchungen beruhen. Das war hier laut Gericht nicht der Fall: Bei
der zugrundeliegenden Studie sei der Grad der Lungenüberlastung mit
Titandioxidpartikeln nicht richtig ermittelt worden, da nicht alle
relevanten Gesichtspunkte in die Berechnung eingeflossen seien.
Beispielsweise seien spezielle Eigenschaften der Partikel nicht
ausreichend berücksichtigt worden. Daher habe die Chemikalienagentur
falsche Schlüsse gezogen, die die EU-Kommission übernommen habe.

Außerdem dürfe ein Stoff nur als krebserregend eingestuft werden,
wenn er tatsächlich die «intrinsische Eigenschaft» habe, Krebs zu
erzeugen. Titandioxid müsste also für sich genommen krebserregend
sein. Hier dagegen besteht die Gefahr für Krebs laut Gericht nur in
Verbindung mit bestimmten lungengängigen Titandioxidpartikeln, wenn
sie in einem bestimmten Aggregatzustand, einer bestimmten Form, einer
bestimmten Größe und einer bestimmten Menge vorhanden seien. Das
reicht demnach für die Einstufung als krebserregend nicht aus.