Steinmeier zur Ermutigungstour auf dem westlichen Balkan Von Ulrich Steinkohl und Gregor Mayer, dpa

29.11.2022 05:15

Der Bundespräsident bricht an diesem Dienstag nach Nordmazedonien und
Albanien auf. Dort wird es zwar auch um das aktuelle Thema Nummer 1,
den Ukraine-Krieg, gehen. Aber zentral wird eine ganz andere Frage
sein. Eine, auf deren Beantwortung beide Länder schon lange warten.

Berlin (dpa) - Über eines können sich die Staaten des westlichen
Balkans derzeit nicht beklagen: mangelnde deutsche Aufmerksamkeit. Im
Gegenteil. Mitte Juni machte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine
zweitägige Blitztour durch die Region, Anfang November veranstaltete
er in Berlin ein Gipfeltreffen mit den Ministerpräsidenten von
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und
Serbien. Zwei von ihnen wird auch Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier treffen, wenn er jetzt nach Nordmazedonien und Albanien
reist.

Seine Zielsetzung ist identisch mit der des Kanzlers. Im
Bundespräsidialamt spricht man von einem Besuch der «Ermutigung».
Ermutigung, um im Zuge der gerade begonnenen Beitrittsverhandlungen
die Voraussetzungen für die EU-Aufnahme zu schaffen. Und wohl auch
ein wenig Ermutigung, um den Glauben an die EU nicht zu verlieren.
Denn beide Staaten warten schon fast zwei Jahrzehnte lang darauf, in
den exklusiven EU-Club zu gelangen. Bereits 2003 hatte die EU dies
allen sechs Westbalkan-Staaten in Aussicht gestellt.

Kanzler Scholz formulierte es beim Westbalkan-Gipfel in Berlin so:
«Die sechs Staaten des westlichen Balkans gehören in die Europäische

Union. Sie sind Teil Europas und Teil der europäischen Familie.» Der
Kanzler belebte in diesem Jahr den «Berliner Prozess» neu, den seine
Vorgängerin Angela Merkel (CDU) 2014 ins Leben gerufen hatte. Mit dem
Format soll die EU-Annäherung der Westbalkan-Staaten vorangebracht
werden. Doch jahrelang passierte so gut wie nichts.

Steinmeier sagte nun der Deutschen Welle mit Blick auf seinen Besuch
in Skopje und in Tirana: «Ich verstehe manche Ungeduld, aber wie
viele andere werde ich auch dort versichern, dass der westliche
Balkan auf keinen Fall vergessen ist.» Die Reise in die zwei Länder
sei als Botschaft an die gesamte Region zu verstehen. «Wenn die
entsprechenden Fortschritte innerstaatlich erreicht werden, dann wird
der Weg in Richtung Mitgliedschaft der Europäischen Union
überschaubarer werden.» Es hänge «an der innerstaatlichen
Reformbereitschaft und an der Bereitschaft, die Reformen umzusetzen.»

Wichtige Stichworte hierbei sind: Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung von
Korruption und Wirtschaftsreformen. Steinmeier bescheinigte beiden
Ländern, sie hätten bereits «entscheidende Schritte nach vorne
getan». Diese Botschaften wird der Bundespräsident voraussichtlich
auch setzen, wenn er an diesem Dienstag in Skopje mit Staatschef
Stevo Pendarovski und Ministerpräsident Dimitar Kovacevski spricht
sowie eine Rede im Parlament hält. Am Donnerstag folgt dann in Tirana
das gleiche Programm mit Präsident Bajram Begaj und Ministerpräsident
Edi Rama sowie wieder einer Rede im Parlament.

Für Nordmazedonien wie Albanien fiel der Startschuss zu den
EU-Beitrittsverhandlungen am 19. Juli mit Regierungskonferenzen in
Brüssel. Sie leiteten den Prozess des «Screenings» ein, in dessen
Verlauf EU-Beamte prüfen, ob das nationale Recht der Kandidatenländer
der Anpassung an die EU-Rechtsvorschriften bedarf.

Nordmazedonien, das unter dem Namen Mazedonien bis 1991 eine
jugoslawische Teilrepublik war, ist in Hinblick auf Verwaltung,
Justiz und Wirtschaft besser aufgestellt als Albanien. Für Albanien
stellte die Europäische Kommission im letzten Länderbericht vom
Oktober einen «mittleren Stand» des Vorbereitungsgrades in wichtigen
Bereichen wie Justiz, öffentliche Verwaltung und Wettbewerbsfähigkeit
der Wirtschaft fest.

Nordmazedonien leidet aber unter nationalistischen Ambitionen seiner
Nachbarn, die wie Bulgarien bis vor kurzem den EU-Prozess
blockierten. Dabei ging es unter anderem um die Interpretation der
teils gemeinsamen Geschichte sowie die Rechte der - wenigen -
ethnischen Bulgaren in Nordmazedonien. Das Land muss dazu nun seine
Verfassung ändern. Dazu bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im
Parlament. Diese ist aber mehr als fraglich, weil die dafür benötigte
nationalistische Opposition ihre Zustimmung nicht geben will.