Steigende Zinsen: Freude und Last für Verbraucher Von Friederike Marx und Jörn Bender, dpa

15.12.2022 14:45

Mit einer Serie von Zinserhöhungen versucht die Europäische
Zentralbank die hartnäckig hohe Inflation einzudämmen. Das hat für
Verbraucherinnen und Verbraucher zwei Seiten.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Euro-Währungshüter drücken im Kampf gegen

zweistellige Inflationsraten aufs Tempo. Zum vierten Mal in Folge hat
die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen im Währungsraum der
19 Länder angehoben. Der Leitzins im Euroraum steigt somit auf 2,50
Prozent. Und weitere Zinserhöhungen sind wahrscheinlich: Der EZB-Rat
gehe «aufgrund der erheblich nach oben korrigierten
Inflationsaussichten» davon aus, dass er die Zinsen weiter erhöhen
werde, teilte die Notenbank in Frankfurt mit. Steigende Zinsen sind
allerdings nicht in jeder Hinsicht positiv.

Welche Folgen haben die hohen Verbraucherpreise?

Die stark gestiegene Teuerung lässt die Kaufkraft von
Verbraucherinnen und Verbrauchern sinken und zehrt Gehaltserhöhungen
auf. Die Menschen können sich für einen Euro weniger leisten,
Beschäftigte haben unter dem Strich weniger Geld im Portemonnaie.
Daten des Statistischen Bundesamtes zufolge sanken die Löhne in
Deutschland im dritten Quartal 2022 real, also bereinigt um die
Preisentwicklung, um 5,7 Prozent. Dies war der höchste Rückgang seit
Einführung dieser Statistik 2008.

Können die Menschen auf sinkende Inflationsraten hoffen?

Mit einem durchgreifenden Rückgang der Teuerung rechnen Ökonomen
vorerst nicht. «Ich halte es für wahrscheinlich, dass im
Jahresdurchschnitt eine Sieben vor dem Komma stehen wird»,
prognostizierte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel jüngst für das
Jahr 2023. Bis die Euro-Währungshüter ihr Ziel von mittelfristig zwei
Prozent Inflation im Euroraum erreichen, dürfte es noch dauern. Es
brauche 18 bis 24 Monate, bis die geldpolitischen Maßnahmen Wirkung
zeigten, erklärte jüngst der französische Zentralbankchef François

Villeroy de Galhau. Im November lagen die Verbraucherpreise im
Euroraum um 10,0 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Gegen steigende Energiepreise, die die Inflation vor allem anheizen,
ist die EZB weitgehend machtlos. Die Notenbank kann mit
Zinserhöhungen aber dazu beitragen, dass sich die Teuerungsrate nicht
dauerhaft auf hohem Niveau festsetzt. Andernfalls besteht die Gefahr,
dass sich Löhne und Preise gegenseitig hochschaukeln. «Wir haben in
den 1970er Jahren eine Phase erlebt, in der wir die Kontrolle über
die Inflation verloren haben. Wir wissen, was es kostet, die
Kontrolle über die Inflation zu verlieren. Das müssen wir vermeiden»,

mahnte der frühere EZB-Präsident Jean-Claude Trichet im Gespräch mit

der Deutschen Presse-Agentur.

Welche Folgen haben die Zinserhöhungen für Sparer?

Die ungeliebten Negativzinsen auf dem Tagesgeld- oder Girokonto
gehören der Vergangenheit an. «Je nach Laufzeit und Marktsegment
haben sich die Sparzinsen in wenigen Wochen teilweise verdoppelt oder
sogar verdreifacht», stellt das Vergleichsportal Verivox fest. Die
Zeitschrift «Finanztest» schreibt in ihrer jüngsten Ausgabe, die
Zinsen für Festgeld stiegen so schnell wie seit Jahren nicht mehr:
Für einjähriges Festgeld gebe es bereits bis zu 2,77 Prozent Zinsen,
für auf drei Jahre angelegtes Festgeld bis 3,25 Prozent. Auch das
Verbraucherportal Biallo berichtet von kräftig gestiegenen Zinsen.
Allerdings mindert die hohe Inflation den Ertrag. «Bei zehn Prozent
Inflation liegt der reale Zinssatz deutlich im Minus», erläuterte
Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis. Der Realzins ist der Zins für
Spareinlagen nach Abzug der Teuerungsrate.

Was bedeuten die EZB-Entscheidungen für Kreditnehmer?

Frisches Geld zu leihen, ist teurer geworden. Nach Daten des
Vergleichsportals Check24 kostete beispielsweise ein Ratenkredit über
10 000 Euro mit einer Laufzeit von 60 Monaten beim Abschluss im
Januar noch 187 Euro im Monat. Für einen Kredit mit gleicher Summe
und Laufzeit werden den Angaben zufolge inzwischen 196 Euro monatlich
fällig.

Die durchschnittlichen Zinssätze für neue Wohnungsdarlehen haben sich
nach Berechnungen der Deutschen Bank allein von Jahresanfang bis
September auf 3,1 Prozent mehr als verdoppelt. «Es ist damit zu
rechnen, dass Immobilien für Privathaushalte mittelfristig weniger
erschwinglich sein werden. Die Zinsen werden wahrscheinlich weiter
anziehen und somit die Gesamtkosten für den Immobilienkauf erhöhen»,

heißt es in einer aktuellen Analyse der volkswirtschaftlichen
Abteilung des Geldhauses.

Welche Folgen hat die Geldpolitik für Bauherren?

Die Höhe der Bauzinsen ist nicht direkt von EZB-Zinsentscheidungen
abhängig, sondern orientiert sich an der Verzinsung von
Bundesanleihen. Bereits vor den Zinserhöhungen der Notenbank sind die
Bauzinsen gestiegen. Höhere Zinsen treffen vor allem diejenigen, die
ein neues Darlehen brauchen oder eine Anschlussfinanzierung für einen
Immobilienkredit. Bei laufenden Hypothekenkrediten ändert sich nichts
an der Zinshöhe.

Was bedeuten höhere Zinsen für die Konjunktur?

Erhöht eine Notenbank zur Bekämpfung der Inflation die Zinsen, wird
der Wirtschaft Geld entzogen, was das Wachstum dämpfen kann. Da der
gemeinsame Währungsraum wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs und der
hohen Energiepreise bereits deutlichen Gegenwind spürt, wächst die
Sorge um die Konjunktur. Doch Bundesbank-Präsident Nagel als Mitglied
des EZB-Rates mahnte, die Geldpolitik dürfe nicht zu früh nachlassen:
«Die Inflation ist eine harte Nuss, die es zu knacken gilt. Wenn wir
sie knacken wollen, muss auch die Geldpolitik hart sein.» Die EZB
geht nach jüngsten Angaben ihres Chefvolkswirts Philip R. Lane davon
aus, dass eine mögliche Rezession «mild und von kurzer Dauer sein
wird».