Scholz und Macron beschwören deutsch-französische Freundschaft Von Michael Fischer, Michael Evers und Martina Herzog, dpa

22.01.2023 19:45

Zuletzt knirschte es ziemlich in den Beziehungen zwischen Deutschland
und Frankreich. Das Jubiläum des Elysée-Vertrags machen Scholz und
Macron nun zu einer großen Versöhnungsshow. Konkrete neue Projekte
springen dabei aber kaum heraus.

Paris (dpa) - Nach erheblichen Spannungen in den letzten Monaten
haben Deutschland und Frankreich am 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags
die Bedeutung ihrer Freundschaft für die Zukunft Europas beschworen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte am Sonntag bei einem
Festakt in der Pariser Sorbonne-Universität, Deutschland und
Frankreich seien für ihn wie «zwei Seelen in einer Brust». «Für e
inen
Franzosen über Deutschland zu sprechen heißt, über einen Teil von
sich selber zu sprechen», sagte er vor mehr als 30 Ministern beider
Regierungen und rund 200 Parlamentariern.

«Deutsch-französischer Motor ist eine Kompromissmaschine»

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dankte den «französischen Brüdern und

Schwestern» auf Französisch für ihre Freundschaft. Die
Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden Ländern wertete er als
Normalität bei einer so engen Zusammenarbeit. «Der
deutsch-französische Motor ist eine Kompromissmaschine - gut geölt,
aber zuweilen eben auch laut und gezeichnet von harter Arbeit», sagte
Scholz. «Seinen Antrieb bezieht er nicht aus süßem Schmus und leerer

Symbolik. Sondern aus unserem festen Willen, Kontroversen und
Interessenunterschiede immer wieder in gleichgerichtetes Handeln
umzuwandeln.»

Verbunden mit dem Festakt war eine gemeinsame Kabinettssitzung, die
aber nur wenige konkrete Ergebnisse brachte. Der Ukraine sagen sie
darin «unerschütterliche Unterstützung» zu, ohne auf konkrete
Waffensysteme wie Kampfpanzer einzugehen.

Anreise mit zwei Regierungsfliegern

Vor 60 Jahren wurde der Élysée-Vertrag zur Aussöhnung der beiden
einstigen Erbfeinde und Kriegsgegner in Paris unterzeichnet. Er gilt
bis heute als Grundlage für die deutsch-französische Zusammenarbeit.
Zum Jubiläums-Festakt und den anschließenden Beratungen beider
Regierungen wurde Scholz von fast dem kompletten Kabinett nach Paris
begleitet. Nur Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fehlte
krankheitsbedingt. In einem zweiten Flugzeug reisten mehr als 100
Mitglieder des Bundestags an, angeführt von Parlamentspräsidentin
Bärbel Bas (SPD).

Im selben Saal, in dem der Festakt stattfand, entwarf Macron vor gut
fünf Jahren seine Vision eines souveränen Europas, die für viel
Aufsehen sorgte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab aber bis zum
Ende ihrer Amtszeit keine Antwort auf diesen Vorstoß. Scholz
reagierte im vergangenen Sommer mit einer europapolitischen
Grundsatzrede in Prag, in der er auf die Bedeutung der
deutsch-französischen Freundschaft für Europa aber nicht näher
einging. Beides kam in Frankreich nicht gut an.

In Paris bedankte sich Scholz jetzt ausdrücklich für Macrons
Sorbonne-Rede. «Heute arbeiten wir Seite an Seite daran, Europas
Souveränität zu stärken», betonte er. Die Kräfte müssten gerade
dort
gebündelt werden, wo die Nationalstaaten allein an Durchsetzungskraft
eingebüßt hätten: «Bei der Sicherung unserer Werte in der Welt, bei
m
Schutz unserer Demokratie gegen autoritäre Kräfte. Aber auch im
Wettbewerb um moderne Technologien, bei der Sicherung von Rohstoffen,
bei der Energieversorgung oder in der Raumfahrt», sagte Scholz.

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Abend mit Macron lobte Scholz
die Zusammenarbeit in Energiefragen. Es sei vor einem Jahr nicht
vorstellbar gewesen, dass ein Wegbrechen russischer Gaslieferungen
ohne Wirtschaftskrise zu bewältigen sei. «Das ist uns aber gelungen,
mit europäischer Solidarität.» Er verwies darauf, dass Frankreich
Deutschland mit Gas aushilft und umgekehrt Deutschland Frankreich mit
Strom.

Macron umarmt Scholz - Hoffnung auf Lösung im Konflikt um
US-Investitionsprogramm

Macron begrüßte den Kanzler vor der Sorbonne herzlich mit einer
Umarmung. Deutschland und Frankreich seien entschlossen, ihre
Freundschaft «zu einem der Lebensbäume der europäischen Souveränit
ät»
zu machen, sagte er in seiner Rede. «Sie können sicher sein, dass wir
beide dieses einst unmögliche Paar, das einfach das Ergebnis von
Wille, Mut und Stärke ist, weiter voranbringen werden.»

Im Konflikt um das amerikanische Klimaschutz-Investitionsprogramm
geht Scholz von einer Lösung in den nächsten Monaten aus. «Ich bin
gegenwärtig jedenfalls sehr zuversichtlich, dass wir im Laufe des
ersten Teils dieses Jahres da notwendige Verständigungen erzielen
können.» Das US-Inflationsbekämpfungsgesetz sieht milliardenschwere
Investitionen in den Klimaschutz vor. Subventionen und
Steuergutschriften sind daran geknüpft, dass Unternehmen US-Produkte
verwenden oder selbst in den USA produzieren. In Europa befürchtet
man Nachteile für heimische Unternehmen. Sowohl Scholz als auch
Macron betonten die Notwendigkeit einer Reform der EU-Regeln für
staatliche Unternehmenshilfen.

Serie von Verstimmungen in den letzten Monaten

Seit dem Amtsantritt von Kanzler Scholz vor gut einem Jahr hatte es
immer wieder Verstimmungen im deutsch-französischen Verhältnis
gegeben. So missfiel Frankreich im vergangenen Herbst der deutsche
Widerstand gegen einen europäischen Gaspreisdeckel und das
200-Milliarden-Programm der Bundesregierung zur Abfederung der hohen
Energiekosten. Macron warf Deutschland damals vor, sich in Europa zu
isolieren. Die eigentlich für Oktober geplanten Beratungen beider
Regierungen mussten vertagt werden, weil man noch nicht in allen
Punkten Einigkeit herstellen konnte.

Zuletzt lief die Abstimmung bei den Waffenlieferungen in die Ukraine
nicht richtig rund. Anfang Januar preschte Macron bei der
Entscheidung über Späh- und Schützenpanzer vor und verkündete sie
einen Tag vor Scholz und US-Präsident Joe Biden.

Vereinbarungen zu Klima, Wirtschaft, Verkehr

In der Abschlusserklärung der gemeinsamen Kabinettssitzung geht es um
eine breite Kooperation von Verteidigung über Verkehr bis
Klimaschutz.

- Klima: Beide Länder wollen den klimafreundlichen Umbau ihrer
Wirtschaft vorantreiben und den Ausbau erneuerbarer Energien -
allerdings «unter Achtung des Prinzips der Technologieneutralität».
Im Gegensatz zu Deutschland setzt Frankreich bei der Abkehr von
fossilen Brennstoffen nämlich stark auf Atomstrom. Diese
unterschiedliche Ausrichtung erkennen beide Seiten an.

- Energie: Deutschland und Frankreich haben vereinbart, die zwischen
Spanien und dem südfranzösischen Marseille geplante
Wasserstoff-Pipeline nach Deutschland zu verlängern. Das
Pipeline-Thema hatte vergangenes Jahr für Streit gesorgt. Spanien und
Deutschland hatten darauf gedrängt, dass eine seit längerem
konzipierte Gaspipeline von Spanien nach Frankreich gebaut wird, um
Gas weiter nach Deutschland zu bringen. Frankreich lehnte dies ab und
vereinbarte mit Spanien stattdessen den Bau der Wasserstoff-Pipeline.

- Verkehr: Grenzüberschreitender Verkehrsverbindungen sollen
vorangebracht werden. Unterstützt werde der Ausbau der
Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung zwischen Paris und Berlin - die
Bahnen beider Länder wollen zunächst einmal täglich einen schnellen
Zug pendeln lassen - sowie der bereits für 2024 angekündigte Nachtzug
zwischen den Hauptstädten.