Ärger mit Trägerraketen - Europas Raumfahrt in der Krise? Von Rachel Boßmeyer, dpa

23.01.2023 12:04

Die europäische Trägerrakete Ariane 6 fliegt mit großer Verspätung

erst Ende des Jahres. Die kleinere Vega C erlitt bei ihrem ersten
kommerziellen Flug eine Panne. Was heißt das für Europas Raumfahrt
und den europäischen Zugang zum All?

Paris (dpa) - Die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 soll erst
Ende des Jahres starten, der erste kommerzielle Flug der
kleineren Vega C ging kürzlich schief. Um die europäischen
Trägerraketen ist es derzeit nicht gut bestellt. Aber was heißt das
für die europäische Raumfahrt? Droht Europa weiter abzufallen?

«Wir sind in einer ernsthaften Krise des europäischen
Trägerraketen-Sektors», teilte die europäische Raumfahrtagentur Esa
auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Esa-Chef Josef
Aschbacher sagte am Montag in Paris: «Ab Mitte dieses Jahres haben
wir keinen garantierten Zugang Europas zum All mit europäischen
Trägerraketen und das ist für uns alle ein riesiges Problem.»

Der Esa zufolge habe diese Krise vor knapp einem Jahr begonnen, als
Russland entschied, seine Sojus-Raketen vom europäischen
Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana abzuziehen. Es
folgten Verzögerungen bei der Ariane 6, die nun im letzten Quartal
des Jahres erstmals starten soll - und damit drei Jahre später als
ursprünglich geplant. Ende Dezember reihte sich dann der gescheiterte
erste kommerzielle Flug der Vega C in die Liste der Probleme ein.

Was genau bei dem Flug schieflief, als die Rakete nur wenige Minuten
nach dem Start von ihrem Kurs abkam, soll eine Expertenkommission
ergründen. Raketenbetreiber Arianespace hatte von einem Problem beim
Triebwerk Zefiro 40 und einem Druckabfall gesprochen. Erste
Ergebnisse der Kommission soll es im Februar geben. Er sei bereit,
dann zügig zu handeln, sagte Esa-Chef Aschbacher der dpa. «Ich
glaube, dass wir relativ starke Maßnahmen treffen müssen, was die
Qualitätskontrolle betrifft.» Aschbacher verwies auch auf die zwei
Fehlstarts, die es 2019 und 2020 mit der Vega, dem Vorgängermodell
der Vega C, gegeben hatte.

Eigentlich sollten in diesem Jahr drei bis vier Vega-C-Raketen an den
Start gehen, wie Arianespace mitteilte. Abhängig von dem Ergebnis der
Untersuchungskommission werde man diese Starts verwalten: Je nach
Masse der Satelliten sei es zumindest theoretisch möglich, die
Flugkörper mit der Vega ins All zu befördern.

Vega C und Ariane 6 sollen Europas Raumfahrt wettbewerbsfähiger
machen und sind daher enorm wichtig. Die Ariane 6 ist das
Nachfolgemodell der Ariane 5, die seit 1996 im Einsatz ist. Die Vega
C ist eine Weiterentwicklung der Vega-Rakete, die seit 2012 leichte
Satelliten ins All bringt.

Angesichts der Probleme sei Europas Zugang zum All «kurz gefährdet»,

schätzt Aschbacher. Es gebe jedoch die finanziellen Mittel, das
Problem anzugehen und zu lösen. Von der Esa hieß es, sobald Ariane 6
und Vega C flögen, seien sie perfekt auf die Bedürfnisse der
europäischen Institutionen abgestimmt. Der Zugang zum All stehe nicht
auf dem Spiel. «Die kurzfristige Priorität ist es, den Jungfernflug
der Ariane 6 und eine sichere, zügige und robuste Rückkehr der Vega C
zum Fliegen schnell und verlässlich abzusichern.»

Notwendig ist das für die Esa auch, weil etwa der
Erdbeobachtungssatellit «Sentinel-1C», der mit Radartechnik Tag und
Nacht Bilder von der Erdoberfläche liefern soll, im Mai oder Juni an
Bord einer Vega C in den Weltraum gebracht werden soll. Andere
Missionen sind noch mit den letzten Ariane-5-Raketen geplant.

Die Sonde «Euclid» hingegen, die ursprünglich mit einer Sojus-Rakete

ins All fliegen sollte und eine 3D-Karte des Universums erstellen
soll, wird diesen Sommer mit einer Falcon 9 des
US-Raumfahrtunternehmens SpaceX abheben. Mit der russischen Sojus
hätten ebenso Satelliten für das Satellitennavigationssystem Galileo
ins All gesollt. Laut Esa wird dafür zwar die Ariane 6 als
Trägerrakete bevorzugt, aber auch nicht-europäische Raketen würden
der Kontinuität halber in Betracht gezogen.