Grill-Teller, aber anders: Insekten in Lebensmitteln Von Sebastian Fischer, dpa

23.01.2023 14:52

Bisher war es schon mit Mehlwürmern und Heuschrecken möglich, nun
darf in der EU auch Pulver aus Heimchen und bestimmten Käfern im
Essen landen. Das führt bei einigen zu Befürchtungen.

Brüssel (dpa) - Insekten werden schon seit Jahrtausenden von Menschen
weltweit gegessen. In der Europäischen Union gelten sie als neuartige
Lebensmittel. Hierzulande schwanken Verbraucher zwischen Neugier und
Ekel. Nach Mehlwürmern und Wanderheuschrecken dürfen nun auch
Hausgrillen und Larven des Getreideschimmelkäfers in Lebensmitteln
verarbeitet werden.

Was genau ist nun erlaubt?

Jedes neuartige Lebensmittel muss von der EU zugelassen werden. Per
Durchführungsverordnung darf allein das vietnamesische Unternehmen
Cricket One von Dienstag an ein teilweise entfettetes Pulver aus der
Hausgrille (Acheta domesticus) in der EU vertreiben. Das auch als
Heimchen bekannte Tier war zuvor nach der Analyse wissenschaftlicher
Studien in die Liste der neuartigen Lebensmittel aufgenommen worden.
Von Donnerstag an dürfen dann auch Larven des Getreideschimmelkäfers
(Alphitobius diaperinus) verarbeitet werden. Ähnliche Regeln gibt es
schon länger für Wanderheuschrecken und Larven des Mehlkäfers
(Tenebrio molitor, gelber Mehlwurm).

In welchen Lebensmitteln kann etwa die Hausgrille vorkommen?

In allen möglichen. Ihr Pulver darf nun unter anderem in Brot und
Brötchen, Keksen und Crackern, Backmischungen und Teigwaren, Soßen
und Suppen, Fleisch- und Milchersatz, Kartoffelerzeugnissen oder
Schokolade vorkommen. Die Produkte dürfen dann nicht als vegan oder
vegetarisch ausgezeichnet werden.

Wird das bald breit zu finden sein?

Das wird sich zeigen. Bisher sei das Angebot an Lebensmitteln mit
Insekten «wirklich ein ganz, ganz kleiner Nischenmarkt», erklärt
Lebensmittelchemiker Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Hierzulande sind aktuell nur wenige Produkte mit geringen Mengen an
Insekten erhältlich - etwa Riegel oder Nudeln. Dass Insektenpulver in
Kekse oder Mehl gemischt werde, liege «wirklich noch in weiter
Ferne», sagt Valet.

Kann es passieren, dass man Insekten isst, ohne es zu wissen?

Nein, denn Insekten müssen auf den Produkten gekennzeichnet sein.
«Uns ist nicht bekannt, dass es irgendwie untergemischt wird», sagt
Verbraucherschützer Valet. Die EU-Kommission stellt klar: «Jede und
jeder kann selbst entscheiden, ob er oder sie Lebensmittel aus oder
mit Insekten kauft oder nicht.» Der Verordnung zufolge muss etwa in
der Zutatenliste stehen: «Acheta domesticus (Hausgrille, Heimchen),
gefroren» oder «Pulver aus Larven von Alphitobius diaperinus
(Getreideschimmelkäfer)». Valet fordert hingegen eine deutliche
Kennzeichnung auf der Verpackung «und zwar gut verständlich für alle,

zum Beispiel «Kekse mit Insekten» oder «Nudeln mit Insekten»».

Was ist für Allergiker zu beachten?

Wie bei vielen anderen Lebensmitteln könnte auch Insektenpulver in
seltenen Fällen Reaktionen auslösen - etwa bei den Menschen, die
gegen Krebstiere, Weichtiere und Hausstaubmilben allergisch sind.
Entsprechende Angaben müssen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste
verzeichnet sein. Das Chitin im Außenskelett von Insekten etwa kann
allergische Reaktionen auslösen. Der kaum verdauliche Ballaststoff
kommt auch in Schalentieren und Pilzen vor. Die Europäische Behörde
für Lebensmittelsicherheit kommt nach Auswertung diverser Studien zu
dem Schluss: Hausgrillen-Pulver in den vorgeschlagenen Mengen ist
sicher.

Welche Vorteile bringt es, Insektenpulver beizumischen?

Einen kommerziellen Anreiz sieht Verbraucherschützer Valet bislang
nicht. «Produkte mit Insektenmehl werden zum Teil deutlich teurer
verkauft», sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Wenn es aber künftig
irgendwann für Unternehmen günstiger sei, dann müsse darauf geachtet

werden, dass Verbraucher nicht irregeführt werden.

Wie nahrhaft sind Insekten?

Weltweit werden mehr als 1900 Arten verzehrt. In verschiedenen
Studien hat die Welternährungsorganisation (FAO) festgestellt, dass
sie eine sehr nahrhafte und gesunde Nahrungsquelle mit einem hohen
Gehalt an Fett, Eiweiß, Vitaminen, Ballaststoffen und Mineralien
sind. Dem Verbraucherzentrale Bundesverband zufolge ist ihr
Proteingehalt ähnlich hoch wie bei Fleisch von Rind, Schwein oder
Pute, variiert aber je nach Art des Insekts.

Wie sieht es mit der Nachhaltigkeit aus?

Der Umweltorganisation WWF zufolge ist die Ökobilanz deutlich besser
als die von Rind, Schwein und Huhn. «Im Vergleich zu Fleisch wird bei
der Erzeugung von Insekten wesentlich weniger landwirtschaftliche
Fläche benötigt», heißt es vom WWF. Im Vergleich zum Huhn seien es

etwa um 50 Prozent weniger. Nach FAO-Angaben benötigen Grillen nur
etwa ein Zwölftel des Futters verglichen mit Rindern, um die gleiche
Menge an Eiweiß zu produzieren. Bei der Insektenzucht werden auch
weniger Treibhausgase freigesetzt. Die deutschen Verbraucherzentralen
rechnen zudem vor, dass der essbare Anteil an Insekten mit 80 Prozent
deutlich höher liegt als zum Beispiel beim Rind (40 Prozent).

Kommen Insekten aus der Natur auf den Teller?

Nein. Niemand muss befürchten, dass wild gesammelte Tierchen in den
Produkten landen. Speiseinsekten, die im deutschen Lebensmittelhandel
angeboten werden, stammen nach Angaben der Verbraucherzentralen
ausschließlich aus kontrollierter Aufzucht. «Es existieren bisher
keine Haltungsvorschriften für Insekten in Deutschland», schreiben
die Verbraucherschützer. Klärungsbedarf gebe es etwa bei Platz,
Einsatz von Arzneimitteln oder einer möglichst schonenden Tötung.