Von der Leyen: Verbraucher sollen von Strommarktreform profitieren

14.03.2023 03:30

Explodierte Strompreise haben die Politik im vergangenen Jahr mächtig
unter Druck gesetzt. Eine Folge davon ist eine Strommarktreform, für
die die EU-Kommission heute einen Vorschlag vorlegt. Doch auf den
ganz großen Wurf verzichtet die Behörde.

Straßburg (dpa) - Von der geplanten Reform des europäischen
Strommarkts sollen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
zufolge vor allem die Konsumenten profitieren. «Im Mittelpunkt dieser
Reform stehen die Verbraucher», sagte die deutsche Politikerin in
einem Interview der Deutschen Presse-Agentur und anderer Agenturen
des European Newsroom. Ein Hauptziel sei, den Verbrauchern die
Vorteile kostengünstiger erneuerbarer Energien näher zu bringen.

Die EU-Kommission will am Dienstag ihre Vorschläge für die Reform des
Strommarkts präsentieren. Die Strompreise waren im vergangenen Jahr
extrem gestiegen. Grund dafür war unter anderem, dass zeitweise rund
die Hälfte der französischen Atomkraftwerke ausfiel. Zudem war der
Strompreisanstieg eine Folge explodierender Gaspreise infolge des
russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Denn der Strommarkt in der EU funktioniert nach dem sogenannten
Merit-Order-Prinzip. Dies bezeichnet die Einsatzreihenfolge der an
der Strombörse anbietenden Kraftwerke. Kraftwerke, die billig Strom
produzieren können, werden zuerst herangezogen, um die Nachfrage zu
decken. Das sind zum Beispiel Windkraftanlagen. Am Ende richtet sich
der Preis aber nach dem zuletzt geschalteten und somit teuersten
Kraftwerk. Das sind oft die Gaskraftwerke. Weil der Gaspreis vor dem
Hintergrund des Kriegs in der Ukraine stark gestiegen ist, ist auch
Strom teurer geworden.

Der relevante Gaspreis liegt derzeit allerdings wieder deutlich unter
den Rekordwerten vom vergangenen Jahr. Zuletzt waren es rund 50 Euro
pro Megawattstunde - im vergangenen Sommer waren es teils deutlich
mehr als 300 Euro.

Eine ganz tiefgreifende Reform des Strommarkts ist nun nicht geplant.
Stattdessen sollen Verbraucher und Unternehmen nach bereits
öffentlich gewordenen Entwürfen etwa vermehrt von langfristigen
Verträgen und somit von stabileren Preisen profitieren.

Von der Leyen setzt darauf, dass die EU-Staaten und das
Europaparlament die Verhandlungen über den neuen Vorschlag bis zur
Europawahl im Mai 2024 abschließen. Dieser sei gut durchdacht und man
habe intensiv mit Experten beraten. «Deshalb denke ich, dass es sich
lohnt, hart daran zu arbeiten, ihn vor den Europawahlen
fertigzustellen.»

Anders als etwa Frankreich und Spanien dürfte die Bundesregierung es
begrüßen, dass die EU-Kommission auf ganz tiefgreifende Änderungen
zunächst verzichtet. Deutschland hatte zuletzt zusammen mit Ländern
wie den Niederlanden, Dänemark, und Luxemburg immer wieder vor einer
übereilten Reform gewarnt.

Zunächst brauche es schnelle und einfach umzusetzende Schritte, sagte
etwa Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold (Grüne). Er sprach etwa
von «Maßnahmen, die uns schnell zu mehr Langfristigkeit in den
Verträgen bringen und die auch dafür sorgen, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher vor Preisspitzen geschützt werden».
Die systematischen langfristigen Reformen müssten dann so angelegt
werden, dass sie keine Schäden anrichteten und Europa fit für ein
Energiesystem ohne fossile Energien machten.

Auch Ökonom Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel hält

es für eine gute Nachricht, dass zunächst keine Radikalreform kommt.
Im vergangenen Jahr sei dies aufgrund des politischen Drucks infolge
der explodierten Strompreise nicht ausgeschlossen gewesen, sagte
Zachmann der dpa. «Die Reformvorschläge, die 2022 diskutiert wurden,
wären alle ziemliche Fehlschläge gewesen.»

Doch auch Zachmann sieht in den kommenden Jahren den Bedarf einer
großen, umfassenden Reform. Denn mit den nun erwarteten Vorschlägen
würden womöglich die Probleme des vergangenen Jahres, aber nicht die

der kommenden drei Jahrzehnte gelöst. Er verweist etwa auf die eine
massive Elektrifizierung der Gesellschaft und die Digitalisierung des
Strommarkts. Zudem dürften ihm zufolge künftig deutlich mehr einzelne
Akteure etwa mit Solar- oder Windanlagen auf dem Markt aktiv sein.
Diese große Reform sei dann voraussichtlich ein Gesetzespaket für die
nächste Legislaturperiode - auch wenn die jetzige EU-Kommission diese
schon vorbereiten sollte, sagte Zachmann.