EU-Kommission will mit Strommarktreform Verbraucher schützen Von Katharina Redanz, dpa

14.03.2023 16:58

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine schnellte auch der
Strompreis in die Höhe. Seit Monaten wird daher die Funktionsweise
des europäischen Strommarktes diskutiert. Die EU-Kommission will ihn
nun optimieren - vor allem zu Gunsten von Verbrauchern.

Straßburg (dpa) - Die EU-Kommission will mit einer Reform des
Strommarktes ausufernde Preise für Verbraucher vermeiden und den
Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben. Gefördert werden sollen
dafür vor allem langfristige Verträge für die Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien und aus Atomkraft, wie aus einem am Dienstag in
Straßburg vorgelegten Vorschlag der Behörde hervorgeht. Erneuerbare
Energien seien der Schlüssel zur Energiesouveränität, sagte
Kommissionsvize Frans Timmermans. «Wenn wir wollen, dass dieser
Übergang möglichst schnell erfolgt, und dass sich das für die
Verbraucher in Form niedrigerer Stromrechnungen bemerkbar macht,
müssen wir unseren Markt umbauen.»

Warum die Kommission den Strommarkt reformieren will

Die Strompreise waren im vergangenen Jahr extrem gestiegen. Grund
dafür war unter anderem, dass zeitweise rund die Hälfte der
französischen Atomkraftwerke ausfiel. Zudem war der Anstieg eine
Folge explodierender Gaspreise infolge des russischen Angriffskriegs
auf die Ukraine. Denn: Der Strommarkt in der EU funktioniert nach dem
sogenannten Merit-Order-Prinzip. Dies bezeichnet die
Einsatzreihenfolge der an der Strombörse anbietenden Kraftwerke.
Kraftwerke, die billig Strom produzieren können, werden zuerst
herangezogen, um die Nachfrage zu decken. Das sind zum Beispiel
Windkraftanlagen. Am Ende richtet sich der Preis aber nach dem
zuletzt geschalteten, also teuersten Kraftwerk - oft Gaskraftwerke.

Im vergangenen Jahr waren daher Rufe nach einer Reform des
europäischen Strommarktes laut geworden. Eine ganz tiefgreifende
Reform des Strommarkts inklusive Entkopplung des Strompreises vom
Gaspreis ist nun allerdings nicht geplant.

Was sich für Verbraucher ändern soll

Verbraucher sollen dem Vorschlag zufolge unter anderem von
langfristigen Verträgen profitieren: Um Endkunden vor starken
Preisschwankungen zu schützen, soll es zu einem ein Recht auf
Festpreisverträge und zum anderen auf Verträge mit dynamischen
Preisen geben. So könnten Verbraucher sich sowohl für sichere,
langfristige Preise als auch für Verträge mit sich verändernden
Preisen entscheiden, wenn sie Preisschwankungen ausnutzen wollen -
etwa um Strom zu nutzen, wenn er billiger ist für das Aufladen von
Elektroautos oder für Wärmepumpen.

Zudem soll der Verbraucherschutz ausgebaut werden: So sollen die
EU-Staaten nach dem Willen der Kommission bedürftige Haushalte, die
in Zahlungsverzug geraten sind, künftig davor bewahren, dass ihnen
der Strom abgedreht wird.

Wie erneuerbare Energien ausgebaut werden sollen

Nach den Vorstellungen der Kommission sollen Investitionen in
erneuerbare Energien etwa mit speziellen Differenzverträgen
(Contracts for Difference) und öffentlichen Garantien für sogenannte
Power Purchase Agreements (PPA) angekurbelt werden. Letztere sind
Stromabnahmevereinbarungen zwischen Energieerzeugern und gewerblichen
Abnehmern und bieten somit langfristige Preisstabilität sowie dem
Erzeuger die nötige Sicherheit, um eine Investitionsentscheidung zu
treffen.

Mit den Differenzverträgen sollen die EU-Staaten Stromerzeugern einen
Mindestpreis für Strom garantieren, wenn sie neue Investitionen
tätigen. Gelten soll dies für Investitionen in erneuerbare Energien
und in Kernkraft. Ist der Marktpreis geringer, gleicht der Staat die
Differenz aus, um langfristig Preisstabilität für die Erzeuger zu
schaffen. Wird über der in dem Vertrag festgelegten Obergrenze
verdient, sollen die Endkunden davon profitieren. Diese
Differenzverträge sollen die einzig erlaubten staatlichen
Direkthilfen für die Energieproduktion sein. Nur so könne
sichergestellt werden, dass die Preise nicht in die Höhe schießen
könnten, hieß es.

Wie die Reaktionen ausfallen

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) begrüßte, dass die
Kommission am Merit-Order-System festhält. «Das gegenwärtige
Marktmodell hat der Integration des europäischen Strommarkts gute
Dienste erwiesen und sollte auch weiterhin als wesentliches Element
für die effektive und effiziente Preissetzung und damit für die
Einsatzplanung von Erzeugungskapazitäten betrachtet werden», sagte
Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.

Die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) sagte, dass die Differenzverträge auch
Atomkraft fördern dürfen, sei kritisch zu sehen, «da Atomkraft nicht

erneuerbar, zu teuer und risikoreich ist». Vom Bundesverband
Erneuerbare Energie (BEE) kam scharfe Kritik. «Die EU-Vorschläge
gehen zu weit und greifen massiv in die Systematiken der
Mitgliedstaaten ein», sagte Präsidentin Simone Peter. Die
verpflichtende Einführung der vorgesehenen Differenzverträge auf
EU-Ebene lehne der Verband ab.

Wie es jetzt weitergeht

Das Europäische Parlament und die Länder müssen den Vorschlag der
Kommission endgültig aushandeln. Wenn sie eine gemeinsame Position
gefunden haben, kann die Refom in Kraft treten.