Grün und unabhängig: EU-Kommission stellt Industrie-Vorschläge vor

16.03.2023 03:59

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen will Europas Industrie fit
für eine klimaneutrale Zukunft machen. Bislang hatte sich die EU auf
funktionierende Lieferketten in Drittstaaten verlassen. Doch das kann
schief gehen, wie unter anderem die Corona-Pandemie gezeigt hat.

Brüssel(dpa) - Weniger Bürokratie für bestimmte Industriezweige und
mehr Unabhängigkeit bei wichtigen Rohstoffen: Die EU-Kommission
präsentiert am Donnerstag gleich zwei große Vorhaben für eine
leistungsstarke und umweltfreundliche EU-Wirtschaft. Mit dem
Europäischen Gesetz über kritische Rohstoffe werden einem Entwurf
zufolge, der der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel vorliegt, unte
r
anderem Vorgaben für Produktionsziele gemacht. So sollen mindestens
zehn Prozent des Jahresverbrauchs von bestimmten Erzen, Mineralien
oder Konzentraten in der EU abgebaut werden können.

Bisher ist die EU bei wichtigen Rohstoffen abhängig von Drittstaaten.
So kommen Kommissionsangaben von 2020 zufolge 78 Prozent des für
die Batterieproduktion wichtigen Lithiums aus Chile. Aber auch aus
anderen Ländern wie China und der Türkei stammen viele Rohstoffe, die
für die EU-Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Diese Rohstoffe
brauche man etwa für Handys und Elektrofahrzeuge, Computerchips,
Batterien, Solarpaneele und Windturbinen, betonte Kommissionschefin
Ursula von der Leyen zuletzt.

Ihr Kollege, der EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton hatte jüngst
gesagt, zahlreiche Industrievertreter machten sich Sorgen um die
Sicherheit der Rohstoffversorgung. Unter anderem die Corona-Pandemie
hatte gezeigt, wie abhängig die EU von funktionierenden Lieferketten

etwa nach Asien ist. So hatte etwa der Corona-Lockdown in Shanghai im
vergangenen Frühjahr Lieferketten weltweit empfindlich gestört und
Lieferungen deutlich verzögert.

Im Europaparlament wird das Vorhaben der Kommission grundsätzlich
begrüßt. «Der Ast, auf dem wir in Europa bisher saßen, war zu dün
n»,
sagt etwa die CDU-Abgeordnete Hildegard Bentele. Die Vorsitzende des
Binnenmarktausschusses, Anna Cavazzini (Grüne), betont: «Die
Reduzierung des Verbrauchs von kritischen Rohstoffen muss vorne
anstehen, danach folgen Recycling und am Ende erst der Abbau.»

Für die Zukunft befürchtet die EU-Kommission aber nicht nur
Abhängigkeiten bei der Rohstoffversorgung. «Systemrivalen versuchen,

unsere Industriekapazitäten an sich zu ziehen und damit unsere
Abhängigkeiten von morgen zu schaffen», sagte Breton mit Blick auf
China. Im Bereich Elektroautos sehe er etwa ein reales Risiko,
Nettoimporteur zu werden - also mehr Autos zu importieren als zu
exportieren. «Vergangenes Jahr hat China Deutschland überholt und ist
zum zweitgrößten Autoexporteur der Welt geworden», so der
EU-Kommissar.

Um diesem und anderen Abhängigkeitsrisiken zu begegnen, sollen mit
dem zweiten Gesetzesvorschlag unter anderem Genehmigungsverfahren für
strategisch wichtige Wertschöpfungsketten erleichtert werden. Zudem
sieht der Vorschlag vor, Beihilferegeln zu vereinfachen und die
Verwendung von EU-Mitteln zu flexibilisieren. «Kurz gesagt, das
Netto-Null-Industrie-Gesetz sorgt für Tempo, Vereinfachung und es
stellt Fördergelder bereit», sagte von der Leyen. Welche Industrien
genau von Sonderregeln profitieren sollen, wurde bis zuletzt
diskutiert. Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese begrüßt
den Vorstoß. «Wir müssen hier jetzt überall Gas geben, um das Kli
ma
zu schützen und von Russland unabhängig zu werden», sagte er.

Der Vorschlag zum Netto-Null-Industrie-Gesetz war auch innerhalb der
EU-Kommission intensiv diskutiert worden. Durchgesickerte Entwürfe
des Vorhabens hatten Autoren der Denkfabrik Bruegel als äußerst
besorgniserregend bezeichnet. Die politischen Ziele seien unverhohlen
protektionistisch. Wie stark sich der endgültige Vorschlag von
bekannten Entwürfen unterscheidet, ist noch unklar. Von der Leyen
wies die Kritik zurück. «Es gibt keinen einzigen Punkt, der
protektionistisch ist», sagte sie der Deutschen Presse-Agentur und
anderen Agenturen in einem Interview des European Newsroom.