EU-Kommission will mehr Vorgaben für grünen Wandel der Wirtschaft

16.03.2023 17:30

Corona-Krise und russischer Angriffskrieg führten zuletzt zu mehr
staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft Europas. Auf dem Weg zur
Klimaneutralität und im Kampf um Industriearbeitsplätze will die
EU-Kommission den Weg nun weitergehen.

Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission will mit zwei Gesetzesvorhaben für

eine klimaneutrale und krisenfeste EU-Wirtschaft stärker in
die Wirtschaft eingreifen. Mit einem am Donnerstag vorgestellten
Gesetz für eine klimaneutrale Wirtschaft soll bestimmten Branchen
unter anderem der Zugang zu Fördergeldern erleichtert werden. Mit
einem weiteren neuen Gesetz zur Rohstoffversorgung sollen der
Industrie konkrete Zielvorgaben für Förderung und Verarbeitung
wichtiger Materialien in der EU gemacht werden. So soll einerseits
der Umbau zu einer CO2-neutralen Wirtschaft beschleunigt und
sichergestellt werden, dass die EU bei wichtigen Rohstoffen nicht von
Importen aus einzelnen Ländern wie China abhängig ist.

Die EU-Staaten und das Europaparlament müssen die am Donnerstag
offiziell vorgestellten Vorhaben nun diskutieren und eine gemeinsame
Linie finden. In Europa habe man zu lange gedacht, der Markt würde
alles regeln, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. «Was wir
tun, ist zukunftsorientiert», betonte der Niederländer und ergänzte
:
«Es ist das, was man tun muss, wenn man sich mitten in einer
industriellen Revolution befindet.»

Die Vorhaben der EU-Kommission sind eine weitere Abkehr von
bisherigen industriepolitischen Prinzipien. So galten in der EU lange

sehr strenge Regeln für staatliche Zuschüsse an Unternehmen, damit

Länder ihren Unternehmen im Wettbewerb etwa mit Firmen aus
anderen EU-Ländern keine verzerrenden Vorteile verschaffen können.
Im Zuge der Corona-Pandemie und um den Auswirkungen des russischen
Angriffskriegs auf die Ukraine zu begegnen, waren solche Regeln
bereits deutlich gelockert worden.

Mit dem Netto-Null-Industrie-Gesetz sollen nun bessere
Voraussetzungen für Produktion und Betrieb von etwa Windturbinen,
Wärmepumpen und Sonnenkollektoren, für erneuerbaren Wasserstoff und
CO2-Speicherung geschaffen werden, sagte EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen. Damit will die EU auch ihr Ziel erreichen, bis
2050 klimaneutral zu werden.

Ziel ist, dass bis 2030 mindestens 40 Prozent des Bedarfs der Union
an bestimmten Technologien in der EU hergestellt werden können. Neben
Wärmepumpen, CO2-Speicherung, Solar- und Windkraft zählen dazu etwa
auch Batterie- und Speichertechnologien, Elektrolyseure und
Brennstoffzellen.

Aber auch bestimmte Technologien, die Energie aus Atomkraft erzeugen,
sollen in gewissem Maß gefördert werden. Der Grünen-Abgeordnete
Michael Bloss sieht das kritisch: «Wir müssen jetzt die Weichen
stellen auf 100 Prozent erneuerbare Energien und keine Geschenke an
die Atomindustrie machen.» Die Umweltorganisation WWF betonte, dass
trotz schnellerer Genehmigungsverfahren Umweltstandards eingehalten
werden müssten. Die Naturschützer warnen davor, dass es Ausnahmen von
Umweltschutzgesetzen geben könnte.

Weil für die Herstellung von zukunftsträchtigen Technologien wie
Batterien, Wind- und Solakraftanlagen bestimmte Rohstoffe wie Lithium
dringend gebraucht werden, sollen der Wirtschaft auch hier Vorgaben
gemacht werden. So soll nach dem Willen der Kommission Europas
Abhängigkeit von Ländern wie China beendet werden. Demnach sollen
künftig in der EU gemessen am Jahresverbrauch mindestens 10 Prozent
dieser strategisch besonders wichtigen Rohstoffe gefördert, 40
Prozent verarbeitet und 15 Prozent recycelt werden. Europaparlament
und EU-Staaten müssen auch über diese Vorschläge diskutieren und sich

auf ein endgültiges Gesetz einigen.

Kritik an dem Vorhaben kommt unter anderem aus der Industrie. «Die
Gesetzesinitiative bleibt weit hinter den Erwartungen und
Notwendigkeiten zurück», so der deutsche Verband der
Automobilindustrie. Es gebe zwar richtige Impulse, aber statt einer
europäischen Agentur, die direkt in Rohstoffprojekte investieren
könne, würden unrealistische Ziele für Selbstversorgung, Recycling
und Importquote vorgeschlagen.

Der CSU-Wirtschaftspolitiker Markus Ferber kritisierte, dass man bei
den Plänen der Kommission den Eindruck erhalte, die Planwirtschaft
der 60er Jahre werde zum Trendsetter für 2023. «Derart starre Quoten
bis 2030 erinnern an Fünf-Jahres-Pläne aus Zeiten des Sozialismus.»
EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis betonte, man befinde sich
nicht in einer Planwirtschaft. Der SPD-Europaabgeordnete Matthias
Ecke begrüßte die Pläne der Kommission. Er betont, dass der Bedar
f an
kritischen Rohstoffen in den nächsten Jahrzehnten um das Zigfache in
die Höhe schießen werde.