Bankenbeben geht weiter - Credit-Suisse-Aktien brechen erneut ein Von Hannes Breustedt, dpa

17.03.2023 18:51

Die Probleme im Bankensektor reißen nicht ab. In den USA braucht das
nächste Geldhaus Hilfe, in Europa bleibt die Credit Suisse trotz
Stützungsmaßnahmen unter Druck. Regierungen und Notenbanken
versuchen, die Lage zu beruhigen - der Erfolg hält sich in Grenzen.

New York/Frankfurt (dpa) - Banken-Turbulenzen halten die Finanzwelt
weiter in Atem: Trotz eines milliardenschweren Stützungspakets steht
die angeschlagene Schweizer Großbank Credit Suisse an der Börse schon
wieder unter Druck. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht aber keine
Gefahr einer neuen großen Krise in Deutschland und Europa: «Die
Gefahr sehe ich nicht», sagte er. Das Geldsystem sei nicht mehr so
fragil wie vor der Finanzkrise. Auch in den USA bleibt die Situation
nach einer konzertierten Hilfsaktion großer Geldhäuser für eine
taumelnde Regionalbank angespannt. Die EZB-Bankenaufsicht wollte sich
am Freitag in einer Sondersitzung mit den Problemen befassen.

Scholz erwartet nach dem Zusammenbruch des Start-up-Finanzierers
Silicon Valley Bank, mit dem das Bankenbeben vergangene Woche begann,
und den Turbulenzen rund um die Credit Suisse keine Konsequenzen für
deutsche Sparer. Die Einlagen seien sicher, sagte er dem
«Handelsblatt»: «Wir leben in einer völlig anderen Zeit», sagte e
r
mit Blick auf Vergleiche mit der Finanzkrise 2008 dem Blatt.

US-Präsident Joe Biden fordert ein härteres Vorgehen gegen
Führungskräfte von kriselnden Finanzkonzernen. «Niemand steht über

dem Gesetz - die Haftung zu verstärken, ist ein wichtiges
Abschreckungsmittel, um schlechtes Management in der Zukunft zu
vermeiden», sagte Biden am Freitag. Der US-Präsident appellierte an
den Kongress, einer Verschärfung der Gesetze zuzustimmen. «Wenn
Banken aufgrund von Missmanagement versagen, sollte es einfacher für
Aufsichtsbehörden sein, Gehälter von Führungskräften zurückzuhole
n,
zivilrechtliche Strafen zu verhängen und Geschäftsführer von
zukünftigen Tätigkeiten in der Bankenbranche auszuschließen.»

Eine Sprecherin der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte, das
Aufsichtsgremium treffe sich zum Meinungsaustausch und um die
Mitglieder über aktuelle Entwicklungen im Bankensektor zu
informieren. Bereits Anfang der Woche gab es eine Sondersitzung.
Bankaufseher treffen sich in derartigen Situationen meist regelmäßig.
Die Notenbank hatte zuvor betont: «Der Bankensektor des Euroraums ist
widerstandsfähig: Kapital- und Liquiditätspositionen sind solide.»

Auf ein Milliarden-Stützungspaket der Schweizerischen Nationalbank
für die Credit Suisse in Europa folgte am Donnerstag eine
koordinierte Rettungsmaßnahme für ein weiteres strauchelndes Geldhaus
in den USA. Die Regionalbank First Republic erhält angesichts von
Liquiditätssorgen und heftigen Kursverlusten an der Börse eine
insgesamt 30 Milliarden Dollar schwere Finanzspritze von den größten
US-Geldhäusern, darunter JPMorgan Chase, Citigroup, Bank of America
und Wells Fargo. Der Schritt sei «höchst willkommen» und demonstriere

die Widerstandskraft des Bankensystems, hieß es in einer gemeinsamen
Mitteilung von Finanzministerium und Notenbank Federal Reserve.

An der Börse bleibt die Nervosität jedoch hoch: Die Aktien der Credit
Suisse gingen am Freitag erneut auf Talfahrt und rutschten zeitweise
wieder zweistellig bis auf 1,767 Franken ab. Die Schweizerische
Nationalbank hatte dem kriselnden Finanzkonzern ein Hilfspaket in
Form von Krediten von bis zu 50 Milliarden Franken (knapp 51 Mrd
Euro) zur Verfügung gestellt. Doch die Maßnahme sorgte bei
Credit-Suisse-Aktionären nur vorübergehend für Beruhigung, auch wenn

der Kurs noch etwas vom Rekordtief bei 1,55 Franken vom Mittwoch
entfernt blieb. Derweil ging es für die First Republic Bank im
US-Handel zwischenzeitlich um über 25 Prozent nach unten.

Europa muss jedoch aus Sicht des Finanzexperten Gerhard Schick in
Sachen Bankenregulierung gegenüber den USA aufholen, um für den
Ernstfall gewappnet zu sein. Bei der Schieflage der kalifornischen
Silicon Valley Bank habe die US-Einlagensicherung direkt eingreifen
und sehr schnell Stabilität schaffen können, sagte der Vorstand der
Bürgerbewegung Finanzwende im «Morgenmagazin» der ARD. «In Europa
haben wir bisher eine solche Behörde, die Abwicklung und
Einlagensicherung verbindet, nicht.» Hier sei die Bankenunion auf
halbem Wege stecken geblieben. «Das müsste man jetzt unbedingt
angehen», sagte der frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen.

Trotz der Unsicherheiten in der Bankenbranche hob die EZB die Zinsen
am Donnerstag weiter an. Frankreichs Notenbankchef François Villeroy
de Galhau sieht darin ein wichtiges Signal gegen die starke Teuerung.
«Das ist ein Vertrauen in unsere Anti-Inflationsstrategie, und das
ist ein Vertrauen in die Solidität unserer europäischen und
französischen Banken», sagte das EZB-Ratsmitglied am Freitag dem
Radiosender BFM Business. «Die französischen und europäischen Banken

sind sehr solide.» Die EZB hatte zum sechsten Mal in Folge den
Leitzins erhöht, um weitere 0,5 Punkte auf 3,5 Prozent.

Wie angespannt die Situation im US-Bankensektor zuletzt war, zeigte
sich am Donnerstag an Daten der Notenbank. In den sieben Tagen bis
15. März gab die Fed über ihr als Diskontfenster bezeichnetes
Programm zur Notliquiditätsversorgung die Rekordsumme von 152,85
Milliarden Dollar an Finanzinstitute aus. Damit wurde der bisherige
Höchstwert von 111 Milliarden Dollar aus der Finanzkrise 2008
übertroffen. Zum Vergleich: In der Vorwoche hatten die Banken
lediglich 4,58 Milliarden Dollar aus dem Diskontfenster beansprucht.
Zusätzliche 11,9 Milliarden Dollar flossen aus dem am Sonntag von der
Fed eingerichteten Notfallprogramm «Bank Term Funding Program», wo
Banken anonym Kredite zu besonders günstigen Konditionen erhalten.

Die ehemalige Mutter der kollabierten Silicon Valley Bank, SVB
Financial Group, hat Konkurs angemeldet. Der Konzern gab am Freitag
bekannt, bei einem Gericht in New York Gläubigerschutz nach Kapitel
11 des US-Insolvenzrechts beantragt zu haben. Anders als der
Mutterkonzern hatte die Silicon Valley Bank als Geschäftsbank und
Teil des Federal Reserve Systems selbst kein Anrecht auf ein
Insolvenzverfahren. Ihre Vermögenswerte wurden per regulatorischer
Anordnung an die US-Einlagensicherung FDIC übertragen.

Seit Tagen bemüht sich die US-Regierung, die Lage zu entspannen -
bislang hielt sich der Erfolg in Grenzen. Nach dem Zusammenbruch des
Start-up-Finanzierers Silicon Valley Bank - dem größten Kollaps eines
US-Geldhauses seit der Finanzkrise 2008 - hatte die US-Regierung am
Wochenende mit einer weitreichenden Einlagengarantie versucht, die
Nerven von Bankkunden im Land zu beruhigen. Am Donnerstag betonte
Finanzministerin Janet Yellen bei einer Kongressanhörung in
Washington erneut, dass das Bankensystem stabil und sicher bleibe und
kein Grund zur Sorge um Einlagen bestehe. «Die Regierung hat
entschiedene und energische Maßnahmen ergriffen», sagte Yellen.