Serbien und Kosovo kommen bei Regelung ihrer Beziehungen voran

19.03.2023 12:16

Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist das Verhältnis Belgrads zu seiner
einstigen Provinz Kosovo spannungsgeladen. Präsident Vucic und
Ministerpräsident Kurti kamen nun einer Einigung näher denn je.
Allerdings ist es ein Deal ohne Unterschriften.

Ohrid (dpa) Nach zwölfstündigen Marathonverhandlungen im
nordmazedonischen Ohrid haben die Spitzenvertreter Serbiens und des
Kosovos beträchtliche Fortschritte erzielt. «Wir haben einen Deal»,
erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am späten Samstagabend

vor Journalisten. «Wir haben eine Einigung darüber, wie es zu machen
ist.» Borrell und der Balkan-Sondergesandte der EU, Miroslav Lajcak,
hatten bei den Gesprächen zwischen dem serbischen Präsidenten
Aleksandar Vucic und dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin
Kurti vermittelt.

Bereits Ende Februar hatten die beiden Politiker in Brüssel einem von
der EU vorgelegte Abkommen verbal zugestimmt, das die Beziehungen
zwischen den beiden verfeindeten Balkanstaaten grundlegend regeln
soll. Am Samstag einigten sie sich auf den Anhang des Abkommens, der
dessen konkrete Umsetzung festlegt. Vucic weigerte sich jedoch am
Ende wie schon in Brüssel, die Abmachungen zu unterschreiben.

Das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnte Kosovo spaltete
sich 1999 mit Nato-Hilfe von Serbien ab und erklärte sich 2008 für
unabhängig. Serbien erkennt dies bis heute nicht an.

Das neue Abkommen sieht vor, dass Belgrad das Kosovo zwar nicht
völkerrechtlich anerkennt, aber die Eigenstaatlichkeit seiner
ehemaligen Provinz zur Kenntnis nimmt. Insbesondere soll es die
Reisepässe, Kfz-Kennzeichen und Zollpapiere des Kosovos anerkennen.
Das Kosovo soll die Rechte der serbischen Volksgruppe im Land
institutionell absichern.

Am Samstag verhandelten Vucic und Kurti über den Anhang zu dem
Abkommen, das den ursprünglichen Plänen der EU-Vermittler zufolge
konkrete Fristen für die Umsetzung der einzelnen Punkte hätte
enthalten sollen. Das am Sonntagmorgen von der EU veröffentlichte
Dokument beinhaltete jedoch kaum zeitliche Zusagen. So steht darin
lediglich, dass die Seiten innerhalb von 30 Tagen einen Gemeinsamen
Monitoring-Ausschuss bilden würden, der für die Überwachung des
Abkommens zuständig sein wird.

Borrell räumte am Samstagabend ein, dass die Vermittler «mit einem
ambitiöseren und detaillierten Vorschlag für den Anhang» in die
Verhandlungen gegangen seien. «Unglücklicherweise vermochten sich die
Seiten nicht auf den detaillierten Vorschlag zu einigen», sagte er.
Das Kosovo hätte «Flexibilität in der Substanz» vermissen lassen,
Serbien wiederum habe von Anfang an darauf bestanden, nichts
unterschreiben zu wollen. Auf nähere Einzelheiten ging er nicht ein.
Er und sein Team würden aber weiter daran arbeiten, «bis eine
umfassende Übereinkunft erzielt» sei. 

«Ich habe heute nichts unterschrieben», erklärte Vucic in Ohrid. «W
ir
haben auf jeweils unterschiedliche Weise aufgezeigt, wo für uns die
jeweiligen roten Linien sind.» Für den serbischen Nationalisten
stellt jede Aufweichung der harten Haltung gegenüber Pristina ein
politisches Risiko dar. Rechtsradikale in Serbien drohten mit
«heißen» Protesten, sollte Vucic in Ohrid «kapitulieren».

Kurti ist wiederum dem Druck der kosovo-albanischen Bevölkerung und
Wählerschaft ausgesetzt, die Zugeständnisse an die serbische
Volksgruppe ablehnt. Artikel sieben des Abkommens sieht aber vor,
dass den Serben im Kosovo «ein angemessenes Ausmaß an selbstständig
er
Regelung ihrer Angelegenheiten» zusteht. Pristina habe sich nun dazu
verpflichtet, die Umsetzung dieses Punktes umgehend einzuleiten,
sagte Borrell. Im Kosovo befürchtet man, dass zu starke Vetorechte
für einen künftigen serbischen Gemeindeverband den Staat blockieren
könnten. 

Die deutsche Bundesregierung begrüßte die in Ohrid erzielte Einigung.
«Glückwunsch zu diesem Durchbruch, mit dem die Beziehungen zwischen
Serbien und Kosovo auf eine neue Grundlage gestellt werden», teilte
Regierungssprecher Steffen Hebenstreit über Twitter mit. Jetzt gehe
es darum, Führungsstärke zu zeigen, um das Vereinbarte einzuhalten
und umzusetzen.

Das Verhältnis des jüngsten europäischen Staates zu Serbien ist seit

dessen Abspaltung von Serbien infolge einer Nato-Intervention im
Frühjahr 1999 ungelöst. Diplomatische Bemühungen des Westens führte
n
in den vergangenen Jahren zu keiner wesentlichen Normalisierung der
Lage. Im Vorjahr waren die Spannungen erneut eskaliert: Es gab
Straßenblockaden und Zwischenfälle, bei denen geschossen wurde.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine
gewann die Beilegung des Kosovo-Konflikts für den Westen wieder an
Bedeutung. Moskau nutzt Schwachstellen in der politischen Ordnung
verschiedener Balkanstaaten für Einflussnahme aus. Belgrad ist
abhängig von Russland, weil die östliche Großmacht mit ihrem Veto im

UN-Sicherheitsrat die Aufnahme des Kosovos in die Weltorganisation
verhindert. Serbien trägt als einziges Land der Region die
EU-Sanktionen gegen Russland nicht mit.