Forscher: Mehrheit der Diesel hatte in Tests «verdächtige» Abgaswerte

23.03.2023 06:00

Die Mitenthüller des VW-Skandals von 2015 haben eine neue Auswertung
vorgelegt. Tenor der Untersuchung des ICCT, die viele Einzeltests
kombiniert: Der Anteil der Dieselfahrzeuge mit womöglich illegalen
Abschaltsystemen soll sehr hoch sein. Wie wurden die Daten erhoben?

Berlin (dpa) - Der internationale Umweltforschungsverbund ICCT hat
bei einer übergreifenden Analyse von Tests und Studien aus mehreren
Jahren einen deutlich zu hohen Abgasausstoß vieler Dieselautos in
Europa festgestellt. Anlass der zusammenfassenden «Neubewertung»
waren Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu sogenannten
Abschalteinrichtungen - die Reinigung darf nur noch heruntergefahren
werden, wenn konkrete Technikschäden und Sicherheitsrisiken drohen.

Dennoch zeigten nach Darstellung des ICCT unter der Maßgabe der nun
geltenden Einschränkungen gut 85 Prozent der Euro-5- und 77 Prozent
der Euro-6-Diesel «verdächtig hohe Emissionen», wie die Forscher am
Donnerstag berichteten. In 40 Prozent der Fälle hätten sich sogar
«extreme» Werte für gesundheitsschädliche Stickoxide (NOx) ergeben.


Die Zahlen basieren nicht auf eigenen Erhebungen, sondern auf einer
großen Testdatenbank sowie Zweitauswertungen zu Abgastests von
Behörden und Organisationen, die seit 2016 liefen. Ein Jahr zuvor
waren die Diesel-Manipulationen bei Volkswagen bekanntgeworden.

Laut ICCT decken die Angaben ungefähr 700 000 Autos aus verschiedenen
europäischen Ländern ab. Dabei berücksichtigten die Wissenschaftler
unterschiedliche Messverfahren - größtenteils «Remote Sensing», als
o
Abgaswerte vorbeifahrender Wagen vom Straßenrand aus, aber auch Tests
mit mobilen Messgeräten am Auspuff. Sie setzten die so ermittelten
Werte dann mit einem Schwellenwert für den jeweiligen Motor- und
Fahrzeugtyp in Bezug, «den wir anhand des normalerweise zu
erwartenden Abgasreinigungsverhaltens abgeleitet haben».

Die Interpretation von Abweichungen ergab unter anderem, dass bei
Dieseln mit als «extrem» eingestuftem NOx-Ausstoß «die Verwendung
einer Abschalteinrichtung als fast sicher gelten» könne. Auch etwas
weniger erhöhte Werte deuteten auf die «wahrscheinliche Verwendung
einer Motorkalibrierungsstrategie hin, die nach den jüngsten Urteilen
des EuGH als verbotene Abschalteinrichtung eingestuft werden kann».

Zur Methodik, die teils als unscharf geltenden Zuordnungen einzelner
Autos zu Straßenrand-Messungen mit heranzuziehen, erklärte der ICCT,
man habe sich intensiv damit beschäftigt zu zeigen, wie diese «trotz
einiger Einschränkungen robuste Schätzungen der realen Emissionen
einzelner Fahrzeuggruppen liefern können». Zusammen mit den Daten aus
Messungen direkt am Auspuff böten sie eine Grundlage für zusätzliche

Nachweise des zu hohen NOx-Ausstoßes in verschiedenen Testverfahren.

Die Deutsche Umwelthilfe verlangte vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA),
sämtliche Dieselautos der Abgasnormen 5 und 6 in Deutschland «mit den
geltenden Bestimmungen in Einklang zu bringen und alle unzulässigen
Abschalteinrichtungen entfernen zu lassen». Es gehe um mehr als acht
Millionen Pkw. Man habe bereits Rechtsmittel gegen das KBA eingelegt.