Europarat beschließt Schadensregister - einige Länder fehlen noch

18.05.2023 11:22

Einigkeit und Solidarität mit der Ukraine wollte der Europarat bei
seinem ersten Gipfel seit fast 20 Jahren demonstrieren. Aber bei
manchen Themen ist es dann doch nicht so weit her mit der
Geschlossenheit.

Reykjavik (dpa) - Zum Abschluss ihres Gipfeltreffens in Reykjavik
haben sich die 46 Staaten des Europarats klar an die Seite der
Ukraine im Kampf gegen Russland gestellt. Sie verabschiedeten ein
Register für Kriegsschäden in der Ukraine, forderten die Rückkehr
aller nach Russland deportierten Kinder und machten sich für ein
Sondertribunal stark. Die gewünschte Geschlossenheit beim ersten
Gipfel nach 18 Jahren war jedoch vor allem beim Schadensregister
löchrig.

Insgesamt haben sich 40 der 46 Staaten des Europarats dazu bereit
erklärt, dem Schadensregister beizutreten oder dies in der Zukunft zu
tun. Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Ungarn
und die Türkei werden vorerst nicht dabei sein. Dafür beteiligen sich
die EU, Kanada, Japan und die USA. Es sei vorhersehbar gewesen, dass
sich nicht alle Länder von Anfang an beteiligen würden, sagte die
isländische Premierministerin Katrin Jakobsdóttir, die den Vorsitz
für den Gipfel innehatte. Die hohe Zahl an Unterstützern sei trotzdem
ein Erfolg.

Der Europarat wurde 1949 zum Schutz von Demokratie, Menschenrechten
und Rechtsstaat in Europa gegründet. Er ist von der Europäischen
Union unabhängig. Ihm gehören auch deutlich mehr Länder an als der EU

- fast alle europäischen Staaten. Die Ukraine ist seit 1995 Mitglied.
Russland wurde nach der Invasion in der Ukraine ausgeschlossen. Das
gemeinsame Nachbarland Belarus ist suspendiert und bei dem Gipfel nur
noch als Beobachter dabei.

Mit dem Schadensregister sollen die Zerstörungen in der von Russland
angegriffenen Ukraine dokumentiert werden, um Russland dafür zur
Rechenschaft ziehen zu können. Das Register gilt als erster Schritt
auf dem Weg zu möglichen Entschädigungszahlungen an die Ukraine. Die
Idee geht auf eine Resolution der Vereinten Nationen zurück und soll
nun unter dem Dach des Europarats umgesetzt werden. Dabei sollen
Informationen und Beweise über alle Schäden, Verluste und
Verletzungen gesammelt werden, die der Ukraine seit dem russischen
Angriff zugefügt wurden.

Das Schadensregister wird im niederländischen Den Haag angesiedelt,
mit einer Außenstelle in der Ukraine. Es soll zunächst für die Dauer

von drei Jahren eingerichtet werden. An dem Register können alle
Mitglieder und Beobachter des Europarates teilnehmen sowie andere
Länder, die dies beantragen und zugelassen werden. Sie zahlen dann
voraussichtlich Beiträge, um das Register zu finanzieren.

Die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejcinovic Buric,
bezeichnete die Entscheidung für das Register als «historisch». Es
sei eines der ersten rechtlich bindenden Instrumente, um Russland für
seine Taten zur Verantwortung ziehen zu können.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die Haltung in

seiner allabendlichen Videoansprache am Mittwoch: «Der Europarat hat
eine wichtige Entscheidung getroffen: Die endgültige Entschließung
des Gipfels in Island unterstützt die ukrainische Friedensformel.» Es
sei wichtig, dass Europa im Interesse eines ehrlichen Friedensplans
so geeint sei, sagte er. Laut EU-Kommissionspräsidentin Ursula von
der Leyen markierte das vergangene Jahr vor dem Hintergrund des
russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Wendepunkt auf dem
Weg vieler Länder in die EU. Das betreffe etwa die westlichen
Balkanstaaten, Georgien oder die Ukraine, sagte sie in Reykjavik.

Es soll aber auch noch ein zusätzliches Instrument geben, das
künftige Entschädigungen möglich machen soll. Dafür könnte eine
Kommission eingesetzt werden und ein Entschädigungsfonds. Ein genaues
Format gibt es dafür noch nicht. Unklar ist außerdem, wie ein solcher
Entschädigungsfonds aufgebaut sein müsste. Immer wieder wird ins
Spiel gebracht, dafür beschlagnahmte russische Vermögenswerte im
Ausland heranzuziehen. Das gilt aber als juristisch sehr schwierig.
Ebenso kompliziert ist die Forderung nach einem Sondertribunal für
die russischen Verbrechen, die die Europaratsmitglieder
unterstützten. Ein weiterer zentraler Punkt in der Abschlusserklärung
des Gipfeltreffens war die Rückkehr aller Kinder, die aus der Ukraine
nach Russland deportiert wurden.

Es war erst das vierte Gipfeltreffen der Staatengruppe in ihrer mehr
als 70-jährigen Geschichte. Mehr als 30 Staats- und Regierungschefs
nahmen teil. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) waren auch der
französische Präsident Emmanuel Macron und der britische
Premierminister Rishi Sunak dabei. Russlandfreundliche Staats- und
Regierungschefs wie der serbische Präsident Aleksandar Vucic und der
ungarische Ministerpräsident Viktor Orban kamen dagegen nicht nach
Island.

Der Europarat hat, obwohl älter und mit mehr Mitgliedern, im Schatten
der EU in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren. Der Gipfel
sollte angesichts des russischen Angriffskriegs die Bedeutung der
Organisation wieder mehr ins Bewusstsein rufen. Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) kündigte in Reykjavik zehn Millionen Euro zusätzlich zum
deutschen Pflichtbeitrag für den Europarat an. Und von der Leyen
wollte sich dafür einsetzen, dass die EU endlich der Europäischen
Menschenrechtskonvention beitrete.