Ringen um Umgang mit China: G7-Gipfel will Druck erhöhen Von Christiane Jacke, Ansgar Haase, Michael Fischer und Andreas Landwehr, dpa

19.05.2023 04:40

Die G7-Staaten suchen bei ihrem Gipfel in Hiroshima eine härtere
Linie im Umgang mit China, wollen die Kooperation aber nicht ganz
aufs Spiel setzen. So richtig einig scheinen sie sich nicht.
Präventiv teilt China zum Auftakt schonmal kräftig aus.

Hiroshima (dpa) - Ein Anti-China-Gipfel soll es nicht werden,
beteuern Diplomaten. Aber die Kritik an China ist allgegenwärtig beim
G7-Gipfel der großen demokratischen Wirtschaftsmächte in Japan. Das
Verhältnis zwischen den USA und China ist schlechter denn je. Die
Europäer hadern immer mehr mit der aufstrebenden Großmacht. In
Deutschland geht die Angst vor der Abhängigkeit von der zweitgrößten

Volkswirtschaft um. Nicht immer sind sich die Europäer untereinander
oder mit den Amerikanern einig über die richtige Gangart. China steht
in Hiroshima so sehr im Fokus wie nie zuvor bei einem G7-Gipfel.

Mit der Rückendeckung für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und
dem Nicht-Verurteilen des Angriffskrieges gegen die Ukraine hat sich
China ins Abseits manövriert. In der Rivalität mit den USA macht
China mit Russland Front gegen den Westen, sucht eine neue
Weltordnung. Sein forsches Auftreten auf der globalen Bühne, seine
Drohungen gegen Taiwan, die Territorialansprüche im Ost- und
Südchinesischen Meer und wirtschaftliche Muskelspiele lassen China
immer weniger als Partner oder Wettbewerber, sondern vielmehr als
Rivale erscheinen.

China kontert zum Gipfelbeginn

China spürt den Gegenwind der G7, kontert gleich zum Auftakt. Es tut
die Gruppe als «kleine Clique» ab - Marionetten, die von den USA in
eine Konfrontation mit China gesteuert werden. Die USA nutzten
«verschiedene Schurkenmittel» wie Sanktionen, wirtschaftliche
Blockaden, militärische Drohungen und politische Isolation, heißt es
in einer Retourkutsche auf Pläne der G7, «wirtschaftliche
Zwangsmaßnahmen» Chinas anprangern zu wollen.

«Die westlichen Länder, angeführt von den USA, verfolgen eine
umfassende Eindämmung, Einkreisung und Unterdrückung Chinas», ist
Staats- und Parteichef Xi Jinping ohnehin fest überzeugt. Er setzt
deswegen auf mehr Eigenständigkeit Chinas - ähnlich wie die Europäer

und Amerikaner, wenn diese über «Risikominderung» oder
«Diversifizierung» oder gar «Abkopplung» diskutieren.

Die USA und China

In seiner Außenpolitik fährt US-Präsident Joe Biden einen harten Kurs

gegen China, das als größter Konkurrent und größte geopolitische
Herausforderung gesehen wird. Die USA wenden viel Energie auf, um
Bünde auszubauen - zu wichtigen Akteuren in Asien, um Chinas
Machtstreben etwas entgegenzusetzen. Dabei sind sie wie die Europäer
stets bemüht zu betonen, dass es nicht um eine «Anti-China-Allianz»
gehe und sich niemand zwischen ihnen und China entscheiden müsse.

Biden ließ die Strafzölle gegen China in Kraft, die sein - ihm sonst
verhasster - Vorgänger Donald Trump eingeführt hatte. Er treibt auch
dessen «America first»-Politik voran, nennt es nur anders. Der
Demokrat stieß im großen Stil Investitionen in den USA an, um
Amerikas Lieferketten unabhängiger zu machen - allen voran von China.
Das gilt insbesondere für kritische technologische Bereiche wie
Halbleiter. «Wir werden dafür sorgen, dass die Lieferkette für
Amerika in Amerika beginnt», sagte Biden.

Biden sattelte auf Trumps Kurs sogar noch drauf: Die USA erließen
Exportbeschränkungen, um China den Zugang zu US-Technologien zu
verwehren. Aktuell erwägt er, privatwirtschaftliche Investitionen aus
den USA im Ausland zu reglementieren - zumindest bei sensiblen
Technologien. Auch das würde sich gegen China richten. Das Dilemma
bei all dem: Die beiden größten Volkswirtschaften können nicht ohne
einander. China gehört zu den drei größten Handelspartnern für die

USA, gleich nach den direkten Nachbarn Kanada und Mexiko.

Bidens Linie lautet daher: Amerika wolle keinen Konflikt mit China,
sondern harten Wettbewerb - und wo immer möglich und geboten auch
Kooperation. Es fehlt aber an Vertrauen auf beiden Seiten. Zu wenig
wird miteinander geredet. Experten warnen vor Missverständnissen
zwischen beiden Streitkräften. Nie zuvor ist so viel über die Gefahr
eines Krieges um Taiwan geredet worden, da Biden der demokratischen
Inselrepublik im Fall eines chinesischen Angriffs mit US-Truppen zur
Hilfe kommen will. «Wer mit dem Feuer spielt, wird sich verbrennen»,
warnt China vor dem Gipfel.

Der Druck auf China wächst

Wenn die G7-Staaten vor «einseitigen Versuchen, den Status quo zu
ändern» warnen, meinen sie nicht nur Russland in der Ukraine, sondern
auch China und dessen Machtanspruch auf Taiwan und Ost- und
Südchinesisches Meer. Wenn sie «nicht marktkonforme Praktiken»
verurteilen, wenden sie sich auch gegen China. Der Ton auf dem Gipfel
soll trotzdem kooperativ sein: «Wir werden sagen, dass wir bereit
sind, ein stabiles und konstruktives Verhältnis zu China zu
unterhalten und es bei globalen Herausforderungen einzubinden», sagte
ein EU-Beamter. Dafür müsse sich China aber an Spielregeln halten.

Auch wenn die G7-Gruppe Einigkeit demonstriert, zeigen sich
Differenzen. Selbst innerhalb der Bundesregierung wird der Dreiklang
von China als Partner, Wettbewerber, Systemrivale unterschiedlich
intoniert. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) tritt China
gegenüber härter auf, Kanzler Olaf Scholz (SPD) zurückhaltender.
Arbeitsteilung nach der Methode «Good guy, bad guy»? Oder
grundverschiedene Ansätze? Die Antwort liegt vielleicht irgendwo
dazwischen. Beide sind sich der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas
bewusst, wollen die Beziehungen zu Asien nun breiter aufstellen, um
die Abhängigkeit zu mindern.

Die EU und China

Die Europäer sind sich einig, viel zu abhängig von China zu sein -
und dass Peking vielfach in inakzeptabler Art und Weise gegen
europäische Werte verstößt. Eine gemeinsame Antwort darauf gibt es
noch nicht. Die Abhängigkeiten von China sind unterschiedlich
ausgeprägt - und dadurch, wer stärker unter Vergeltung leiden würden.

Für Deutschland ist die Volksrepublik der wichtigste Handelspartner.

Die Uneinigkeit zeigt sich auch in der Diskussion um das elfte Paket
mit Russland-Sanktionen. Chinesischen Unternehmen wird vorgeworfen,
an der Umgehung der Strafmaßnahmen beteiligt zu sein. Deswegen hat
die EU-Kommission vorgeschlagen, die rechtliche Möglichkeit zu
schaffen, ausgewählte Exporte in bestimmte Drittstaaten
einzuschränken. Welche EU-Staaten aber den Mut oder den Willen haben,
China auf eine solche Liste zu setzen, muss sich zeigen.

Einigkeit herrscht, keine Abkopplung von China anzustreben, aber die
Risiken der Abhängigkeit zu minimieren. «Kein Decoupling, aber ein
kluges Derisking lautet die Devise», sagte Scholz.

Die EU zwischen den USA und China

Aber wo sieht sich Europa zwischen China und den USA? Frankreichs
Präsident Emmanuel Macron warnte davor, dass die EU-Staaten ohne
strategische Autonomie «Vasallen» werden könnten. Er würde sich
wünschen, dass Europa selbstbewusst die Rolle einer dritten
Supermacht zwischen den USA und China anstrebt. Der Kanzler sieht das
anders: «Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt,

wer nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der
Vergangenheit.»