BGH urteilt zum «Recht auf Vergessenwerden» im Netz

23.05.2023 04:30

Im Internet findet man immer wieder alte Geschichten - ganz gleich,
ob sie stimmen. Für Betroffene kann das sehr unangenehm werden.
Höchstrichterlich wird nun entschieden, unter welchen Bedingungen
Suchmaschinen-Betreiber zum Löschen der Treffer verpflichtet sind.

Karlsruhe (dpa) - Es geht um das sogenannte Recht auf Vergessenwerden
im Internet: Der Bundesgerichtshof (BGH) will am Dienstag (12.00 Uhr)
verkünden, wann Betroffene ein Recht darauf haben, dass Google
fragwürdige Artikel über sie aus seinen Trefferlisten entfernt. Die
Karlsruher Richter dürften sich an einem Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) orientieren, wonach der Suchmaschinen-Betreiber
nicht verpflichtet ist, aktiv nach kritischen Artikeln zu forschen.

Der Betroffene hat demnach selbst nachzuweisen, dass die Angaben über
ihn offensichtlich unrichtig sind. Gelinge ihm das, müsse Google die
Links zu den beanstandeten Inhalten entfernen. Der sechste Zivilsenat
am BGH muss diese Vorgaben nun auf den konkreten Fall anwenden.

Dabei geht es um ein Paar aus der Finanzdienstleistungsbranche, das
sich im Internet in Misskredit gebracht sieht. Die Kläger wollen,
dass mehrere kritische Artikel über ihr Anlagemodell nicht mehr als
Treffer auftauchen, wenn man bei Google nach ihren Namen sucht.

Eine US-amerikanische Internetseite hatte die Texte veröffentlicht.
Deren Betreiberin war wiederum Vorwürfen ausgesetzt, sie lanciere
gezielt negative Berichte, um die Betroffenen damit zu erpressen.

Google entfernte die Links zu den Artikeln nicht. Zur Begründung hieß
es, man könne nicht beurteilen, ob etwas an den Vorwürfen dran sei.

Das Kölner Oberlandesgericht hatte im Jahr 2018 entschieden, dass
Google die beanstandeten Texte größtenteils weiter anzeigen darf. Die
Kläger hätten eine offensichtliche Rechtsverletzung nicht auf die
erforderliche Weise dargelegt. Der Vorsitzende Richter am BGH,
Stephan Seiters, deutete in der mündlichen Verhandlung Ende April an,
dass dies für den Senat wohl mit den EuGH-Vorgaben in Einklang steht.

Dass sich die Luxemburger Richter mit dem Thema befasst hatten, geht
ebenfalls auf das Verfahren zurück: Der BGH hatte sich 2020 schon
einmal dem Fall gewidmet. Weil es für den Datenschutz EU-weit
einheitliche Standards gibt, hatte der Senat den EuGH zurate gezogen.

Insbesondere wollten die obersten Zivilrichter Deutschlands wissen,
ob Google in solchen Fällen in eigener Verantwortung Nachforschungen
anstellen muss - mit dem Risiko, dass dann womöglich lieber ein
Bericht mehr als einer zu wenig blockiert werden dürfte. Seit
Dezember 2022 liegt die Luxemburger Entscheidung dazu vor.

In der mündlichen Verhandlung im April wurde länger über kleine
Vorschaubilder («Thumbnails») diskutiert, die bei der Google-Suche
neben Links in der Trefferliste auftauchen. Die Kläger wehren sich
gegen bestimmte Bilder aus einem Artikel, die sie unter anderem im
Cabrio oder bei einem Hubschrauber-Flug zeigen - angeblich ein Beleg
dafür, dass «Hintermänner und Initiatoren» in Luxus schwelgen wür
den.

Hier pochten die Google-Anwälte darauf, dass die Motive nicht
generell zu löschen seien, sondern höchstens dann, wenn sie mit dem
Link zu dem beanstandeten Artikel hinterlegt sind. Ein Totalverbot
sei nicht rechtens, weil es Google zur aktiven Filterung zwinge.