Fürs «Recht auf Vergessenwerden» muss man Fehler nachweisen Von Marco Krefting, dpa

23.05.2023 16:23

Das Netz vergisst gemeinhin nichts. Für Betroffene kann das mitunter
unangenehm werden. Doch sie haben die Möglichkeit, gegen unliebsame
Veröffentlichungen vorzugehen. Über die Grenzen in Bezug auf
Trefferlisten von Suchmaschinen hat nun der BGH entschieden.

Karlsruhe (dpa) - Im Internet vergessen zu werden, ist ganz schön
schwer. Zwar können sich Menschen zum Beispiel dagegen wehren, dass
Suchmaschinen wie Google bei den Treffern fragwürdige Artikel über
sie anzeigen. Doch müssen sie «relevante und hinreichende Nachweise»

vorlegen dafür, dass die darin enthaltenen Informationen
offensichtlich unrichtig sind - oder zumindest ein für den gesamten
Inhalt «nicht unbedeutender Teil». So hat es der Bundesgerichtshof
(BGH) am Dienstag in Karlsruhe entschieden. (Az. VI ZR 476/18)

Die Betreiber der Suchmaschinen sind indes nicht verpflichtet,
diesbezüglich selbst zu ermitteln und Treffer mit möglicherweise
falschen Angaben aus den Listen zu nehmen oder gar auf die
Betroffenen zuzugehen. Das berge die Gefahr, dass auch solche Links
nicht mehr auftauchen, die eigentlich nicht zu beanstanden und für
die Information der Öffentlichkeit relevant wären - weil sich die
Betreiber die Ermittlungsarbeit sparen wollen, erklärte der
Vorsitzende Richter des sechsten Zivilsenats am BGH, Stephan Seiters.

Die obersten Zivilrichter und -richterinnen Deutschlands hatten sich
an einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) orientiert.

Der Aufwand, den Betroffene für den Nachweis fehlerhafter Angaben
betreiben müssen, soll laut Seiters angemessen sein. Was das genau
bedeutet und wann Belege relevant und hinreichend genug sind, müsse
allerdings für jeden Einzelfall geprüft werden. Klar ist die Sache,

wenn ein Urteil bestätigt, dass die Informationen nicht der Wahrheit
entsprechen. Eine Grundvoraussetzung ist darüber hinaus, dass in
einem beanstandeten Text überhaupt personenbezogene Daten auftauchen.

Reemt Matthiesen, Rechtsanwalt bei der internationalen
Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland, sprach von durchaus hohen Hürden.
Die sogenannte Auslistung könne nicht «auf Zuruf» erfolgen.

Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei WBS.Legal nannte das
Urteil einen klaren Sieg für Google. Für Betroffene schaffe der BGH
zwar Klarheit. «Er macht es ihnen aber auch schwerer, falsche
Berichte über sie aus den Google-Suchergebnissen entfernen zu
lassen.» Immerhin helfe den Betroffenen das vorherige EuGH-Urteil,
wonach es nicht notwendig ist, zunächst den Urheber einer möglichen
Falschaussage zu verklagen, bevor man sich an Google wenden kann.

Im konkreten Fall ging es um ein Paar aus der Finanzbranche, das sich
im Internet verleumdet sah. Die Kläger wollten, dass mehrere
kritische Artikel über ihr Anlagemodell nicht mehr als Treffer
auftauchen, wenn man bei Google nach ihren Namen sucht.

Eine US-amerikanische Internetseite hatte die Texte veröffentlicht.
Deren Betreiberin war wiederum Vorwürfen ausgesetzt, sie lanciere
gezielt negative Berichte, um die Betroffenen damit zu erpressen.

Google entfernte die Links zu den Artikeln nicht. Zur Begründung hieß
es, man könne nicht beurteilen, ob etwas an den Vorwürfen dran sei.

Das Kölner Oberlandesgericht als Berufungsinstanz hatte im Jahr 2018
entschieden, dass Google die beanstandeten Texte größtenteils weiter
anzeigen darf. Die Kläger hätten eine offensichtliche
Rechtsverletzung nicht auf die erforderliche Weise dargelegt.

Der BGH stützte diese Entscheidung und wies die Revision der Kläger
weitgehend zurück. Er gab ihnen aber in dem Punkt Recht, dass keine
Fotos mit ihnen ohne jeglichen Kontext in den Trefferlisten angezeigt
werden dürfen - sogenannte Vorschaubilder («Thumbnails»).

Ohne Zusammenhang, nur für sich genommen, seien die Fotos nicht
aussagekräftig, erläuterte Richter Seiters bei der Verkündung. Hier
überwiege das Recht am eigenen Bild - auch wenn man mit einem Klick
auf die Seite mit den entsprechenden Texten komme. Das Anzeigen
solcher Vorschaubilder sei daher nicht gerechtfertigt gewesen.

Dazu erklärte Anwalt Matthiesen: «Die Beurteilung der Auslistung von
Texten und Thumbnails kann in Zukunft also auseinanderfallen.»

Dass sich der EuGH mit dem Thema befasst hatte, geht auch auf das
Verfahren zurück: Der BGH hatte ihn 2020 zurate gezogen, weil es für

den Datenschutz EU-weit einheitliche Standards gibt. Seit Dezember
2022 liegt die Luxemburger Entscheidung dazu vor, deren Kernaussagen
der BGH nun auf den konkreten Fall übertragen hat.

Wenn Informationen der Wahrheit entsprächen, sei die Veröffentlichung
ohnehin hinzunehmen, führte Seiters weiter aus. Nichts anderes gelte
dann auch für Fotos, die mit dem Text publiziert worden seien.