Habeck zu Asyl: Familien mit Kindern von Grenzverfahren ausnehmen

05.06.2023 04:45

Seit Jahren streiten die EU-Länder über eine Reform des gemeinsamen
Asylsystems. Bei Beratungen in dieser Woche geht es auch um eine
mögliche Prüfung von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen. Diese
findet Vizekanzler Habeck problematisch.

Berlin (dpa) - Im Vorfeld wichtiger EU-Beratungen über einen
möglichen Asylkompromiss unterstützt Vizekanzler Robert Habeck die
Position von Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne).
Baerbock will durchsetzen, dass etwa Familien mit Kindern von
möglichen Vorprüfungen von Asylanträgen an den EU-Außengrenzen
ausgenommen werden. Grenzverfahren seien «ohne Frage problematisch»,
sagte Habeck laut einer Mitteilung in der Nacht zum Montag.
«Grenzverfahren brauchen Grenzen. Die Menschen müssen untergebracht
und versorgt werden. Sie dürfen dort nur kurze Zeit sein. Familien
mit Kindern, Schwangere sollten ausgenommen werden.»

Die EU-Innenminister beraten am Donnerstag in Luxemburg über die seit
Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems
(GEAS). Es geht unter anderem um die Frage, ob es Vorprüfungen von
Asylanträgen schon an den EU-Außengrenzen geben soll. Die
Bundesregierung will durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und
Familien mit Kindern diese Verfahren nicht durchlaufen müssen.
Entsprechend hatte sich auch Baerbock geäußert. Im Ursprungsvorschlag
der EU-Kommission heißt es bereits: «Unbegleitete Kinder und Kinder
unter 12 Jahren mit ihren Familienangehörigen sind vom Grenzverfahren
ausgenommen, sofern keine Sicherheitsbedenken bestehen.»

Baerbock erklärte in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, der
Kommissionsvorschlag sei die einzige Chance, auf absehbare Zeit zu
einem «geordneten und humanen Verteilungsverfahren» zu kommen.
«Deshalb verhandeln wir in Brüssel hart, um sicherzustellen, dass
niemand länger als einige Wochen im Grenzverfahren stecken bleibt,
dass Familien mit Kindern nicht ins Grenzverfahren kommen, dass das
Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt wird.»

Die EU-Beratungen böten eine «realistische Chance, in der
verfahrenden Situation zu einem humanen und geordneten
Verteilungsmechanismus zu kommen und Schutzsuchenden, die vor Krieg
und Folter fliehen, eine Perspektive in Europa zu geben», sagte
Habeck weiter. «Und ich finde, Annalena Baerbock hat recht: Die
Arbeit dafür lohnt sich.»

«Wir haben seit vielen Jahren kein funktionierendes europäisches
Asylsystem mit der Folge, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass
Familien jahrelang in menschenunwürdigen Zuständen in Lagern an den
Grenzen feststecken», beklagte Habeck. Zu oft würden die EU-Länder an

den Außengrenzen allein gelassen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstützt das Vorhaben von
Grenzverfahren, sagte dem «Handelsblatt» aber auch: «Kinder und
andere vulnerable Gruppen wollen wir besonders schützen.»

Hintergrund der EU-Beratungen sind die gestiegenen Migrantenzahlen.
Seit Monaten versuchen sehr viele, von Nordafrika über das Mittelmeer
Süditalien zu erreichen. Nach Angaben aus Rom kamen seit Januar mehr
als 50 000 Migranten auf Booten nach Italien. Dem
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge starben seit Jahresanfang bei
Überfahrten mehr als 980 Menschen oder werden seither vermisst. In
Deutschland wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres gut
100 000 Asylerstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

entgegengenommen, eine Zunahme um rund 78 Prozent.