) AfD trifft sich in Magdeburg: Umfragehoch und Wagenknecht-Risiko Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

26.07.2023 08:13

Die Umfragewerte sehen gut aus. Die öffentlichen Streitereien des
Führungspersonals sind weitgehend Geschichte. Man könnte also
eigentlich zufrieden sein in den Führungszirkeln der AfD. Wenn da nur
nicht der Verfassungsschutz wäre - und Sahra Wagenknecht.

Berlin (dpa) - Begleitet von einer aufgeregten Debatte über den
Umgang mit der AfD bereitet sich die Partei von Tino Chrupalla und
Alice Weidel auf ihren Bundesparteitag in Magdeburg vor. Am Freitag
sollen Satzungsfragen erörtert und neue Mitglieder für das oberste
Schiedsgericht der Partei gewählt werden. Was bei anderen Parteien
meist eher langweilige Routine ist, kann bei der AfD durchaus für
Wallungen sorgen. Schließlich sind Fälle, wo sich Mitglieder mit
Ordnungsmaßnahmen bis hin zum Ausschluss konfrontiert sehen, bei der
AfD keine Seltenheit.

Dass politische Gegner in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt
protestieren wollen, gehört bei AfD-Parteitagen schon fast genauso
dazu wie die wurstlastige Auswahl von Speisen, die vor dem Saal zum
Kauf angeboten wird. Ungewöhnlich ist, dass diesmal im Vorfeld
weniger über die Positionen und möglichen Kandidaten der AfD
gesprochen wird als über die Frage, wie fest die sogenannte
Brandmauer der CDU nach Rechtsaußen steht.

Anlass dafür bot der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Dessen
Äußerungen im ZDF-Sommerinterview zum Umgang mit der AfD in den
Kommunen war vielfach als Aufweichung der klaren Abgrenzung der CDU
zu den Rechtspopulisten interpretiert worden. Wenn wie jetzt in
Thüringen ein Landrat und in Sachsen-Anhalt ein Bürgermeister von der
AfD gewählt worden sei, dann seien das demokratische Wahlen, sagte
Merz. «Das haben wir doch zu akzeptieren. Und natürlich muss in den
Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man
gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.» Dafür
erntete er viel Kritik. Auch in der eigenen Partei, wo manche die
Äußerung missverständlich fanden. Er selbst sagte später: «Daraus

abzuleiten, ich hätte den Weg geöffnet für die Zusammenarbeit mit der

AfD auf kommunaler Ebene, ist wirklich völlig abwegig.»

Am Samstag will die AfD damit beginnen, ihre Kandidaten für die
Europawahl 2024 aufzustellen. Dafür hat sie mindestens vier Tage
veranschlagt. Am Sonntag wird unterbrochen, am darauffolgenden
Freitag geht es dann weiter. Da die Partei in Wählerumfragen zur
Bundestagswahl zuletzt kräftig zugelegt hat und stabil bei rund 20
Prozent liegt, hat man sich vorgenommen, auf jeden Fall eine
ausreichende Zahl von Kandidaten zu wählen. Die Debatte um das
Europawahlprogramm soll deshalb ans Ende gestellt werden. So sieht es
zumindest ein Antrag des Bundesvorstandes vor.

Sollte es zu vielen Listenplätzen Kampfkandidaturen geben, womöglich
mit mehreren Kandidaten, könnte für die Beratungen zum Programm
möglicherweise sogar noch zu einem Sonderparteitag eingeladen werden.
Dass Prinzip «Zuerst die Kandidaten, dann das Programm» könnte zwar
theoretisch zur Folge haben, dass Kandidatinnen und Kandidaten
aufgestellt werden, die nicht voll hinter dem Programm stehen, mit
dem die Partei in den Wahlkampf geht. Alice Weidel, die gemeinsam mit
Tino Chrupalla an der Spitze von Partei und Bundestagsfraktion steht,
ficht das jedoch nicht an. Auf die Tagesordnung angesprochen, lässt
sie mitteilen: «Es geht um die Rechtssicherheit der
Listenaufstellung. Diese darf sich aus rechtlichen Gründen nicht über
einen zu langen Zeitraum erstrecken.» Außerdem hätten die Kandidaten,

sofern sie auch Delegierte seien, ja die Möglichkeit, sich an der
Programmdiskussion zu beteiligen.

Dass die Liste diesmal mit Sicherheit anders aussehen wird als zur
Europawahl 2019, ist zu erwarten. Schließlich war damals der
inzwischen aus der AfD ausgetretene langjährige Bundesvorsitzende
Jörg Meuthen Spitzenkandidat. Meuthens Abgang war nicht der einzige,
den die AfD-Delegation in Brüssel zu verzeichnen hatte.

Als möglicher Kandidat für Platz Eins wird diesmal der
Europaabgeordnete Maximilian Krah gehandelt. Krah, der dem
Bundesvorstand der AfD als Beisitzer angehört und Mitglied des
sächsischen Landesverbandes ist, hatte 2022 ohne Erfolg für das Amt
des Oberbürgermeisters von Dresden kandidiert. Die rechtsnationale
ID-Fraktion im Europaparlament hatte seine Mitgliedschaft 2022 für
mehrere Monate ausgesetzt. Damals wurde ihm vorgeworfen, dass er im
französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht Marine Le Pen von der
ID-Mitgliedspartei Rassemblement National, sondern öffentlich die
Partei des Rechtsextremen Éric Zemmour unterstützte.

Interessieren dürfte die Wahl der Kandidaten in Magdeburg auch die
Verfassungsschützer. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte die
AfD im März 2021 als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft.
Diese Einstufung hatte das Kölner Verwaltungsgericht im März 2022
bestätigt. Die AfD hat Berufung eingelegt. Das Verfahren vor dem
Oberverwaltungsgericht in Münster läuft noch.

Im Rückblick auf den AfD-Bundesparteitag im Juni 2022 hatte
Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang bilanziert, dort seien
nur Leute in den Vorstand gewählt worden, «die entweder den
rechtsextremistischen Kräften der AfD nahestehen oder diese zumindest
tolerieren». Außerdem sei erkennbar, «dass Rechtsextremisten wie
Björn Höcke einen starken Einfluss auf die Partei bekommen haben».

Höckes Name steht neben anderen auch über einem Änderungsantrag zum
Leitantrag für das Europawahlprogramm. Darin heißt es: «Die AfD
erkennt die EU als gescheitert und als nicht reformierbar.» Der
Antrag enthält zudem einen bemerkenswerten Satz mit Blick auf die
Verteidigungspolitik Deutschlands. Hier wird gefordert, «dass die
Staaten Europas die Verantwortung für ihre Sicherheit endlich selbst
in die Hand nehmen, statt unter den vermeintlichen Schutzschirm eines
fernen und eigennützigen Hegemons zu flüchten».

Wie die Debatte zum «Dexit» und zur Nato in Magdeburg ausgehen wird,
ist offen. Im AfD-Programm für die Bundestagswahl 2021 hieß es: «Wir

halten einen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union und die
Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und
Interessengemeinschaft für notwendig.» Manchen in der Partei geht das
zu weit - auch weil das im Europäischen Parlament die Zusammenarbeit
mit Politikern aus anderen europäischen Staaten erschwert, die
ansonsten ähnliche Ziele verfolgen wie die AfD.

Der große Optimismus, der in den vergangenen Wochen in der AfD-Spitze
zu spüren war, speist sich vor allem aus den für die Partei günstigen

Wählerumfragen. Wenn da nur nicht Sahra Wagenknecht von der
Linkspartei wäre, die in Interviews Diskussionen über
Identitätspolitik und «Sprachverbote» beklagt, und damit womöglich
im
gleichen Teich nach Stimmen fischt wie die AfD. Die frühere Chefin
der Linksfraktion im Bundestag liebäugelt seit Monaten mit der
Gründung einer eigenen Partei. Beobachter vermuten, dass eine
Wagenknecht-Partei nicht nur der Linken, sondern auch der AfD
potenzielle Wähler abspenstig machen könnte - vor allem im Osten.