Skandinavien statt Rhodos: Verändern Hitzesommer den Tourismus? Von Friederike Marx, dpa
04.08.2023 09:48
Trotz Hitzewellen und Waldbränden halten Urlauberinnen und Urlauber
beliebten Reisezielen am Mittelmeer bislang die Treue. Mit
fortschreitendem Klimawandel könnte sich das ändern, einige Hinweise
darauf gibt es bereits.
Frankfurt/Main (dpa) - Hitzewellen in Spanien und Italien, Waldbrände
auf der griechischen Ferieninsel Rhodos: Beliebte Reiseziele im
Mittelmeerraum leiden unter Dürre und hohen Temperaturen. Zieht es
Urlauber künftig nach Schweden oder Irland statt ans Mittelmeer? Auf
mögliche Verschiebungen deuten Ergebnisse einer Umfrage hin. Bei den
Buchungen kann die Branche dies aber noch nicht feststellen.
«Aktuell zeigt sich keine Veränderung im Buchungsverhalten aufgrund
der langanhaltenden Hitzewelle im Süden Europas», sagt Norbert
Fiebig, Präsident des Deutschen Reiseverbandes DRV. So boomt
beispielsweise nach Angaben des italienischen Fremdenverkehrsamtes
(Enit) Urlaub in dem Mittelmeerland. Experten erwarten dort einen
Rekord-Reisesommer.
Auch in Spanien gibt es derzeit keine Indizien dafür, dass die
Touristen dem beliebten Urlaubsland wegen der Hitze den Rücken
kehren. In den ersten sechs Monaten des Jahres wurde das Land nach
Angaben der Statistikbehörde INE von 37,5 Millionen Menschen aus dem
Ausland besucht - 23,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.
«Klar ist aber: Durch den Klimawandel werden Extremwetterereignisse
wie Brände, Dürren, aber auch Überflutungen et cetera vermehrt
auftreten», sagt Fiebig. Vor- und Nachsaison dürften an Bedeutung
gewinnen. Reisekonzern reagieren bereits. So verlängerte
beispielsweise Branchenprimus Tui unlängst die Saison in
Griechenland, das Ziel ist nun bis Mitte November buchbar.
Preis schlägt Hitze
Nach Einschätzung von Tourismusforscher Torsten Kirstges von der
Jade-Hochschule in Wilhelmshaven wirkt Hitze generell nicht
abschreckend auf Urlauber. Länder wie die Türkei, Griechenland oder
Tunesien und Marokko seien seit Jahrzehnten gerade im Sommer sehr
beliebt, obwohl es dort dann immer sehr warm sei. «Dafür sorgt auch,
dass ein Sommerurlaub dort oft günstiger ist als anderswo. Da gilt
quasi: Preis schlägt Hitze», sagte Kirstges der «Wirtschaftswoche»
Bei einer Umfrage der European Travel Commission (ETC), der
Dachorganisation verschiedener europäischen Tourismusorganisationen
und -behörden, deuteten sich allerdings erste Verschiebungen an.
Demnach liegt Spanien zwar weiterhin vorn in der Gunst der Menschen,
die von Juni bis November verreisen möchten. Es folgen Frankreich,
Italien, Griechenland und Kroatien. Allerdings planen von etwa 6000
europaweit Befragten 10 Prozent weniger als im vergangenen Jahr einen
Trip in den Mittelmeerraum. Die Tschechische Republik, Bulgarien,
Irland und Dänemark erfreuten sich dagegen wachsender Beliebtheit.
ETC führt dies auf Reisende zurück, die weniger überfüllte Orte und
mildere Temperaturen suchen.
Nord-Süd-Muster bei Tourismusnachfrage
«Wir gehen davon aus, dass die Reiseströme in Europa in Zukunft
stärker von unvorhersehbaren Wetterbedingungen beeinflusst werden»,
sagt Eduardo Santander, ETC-Exekutivdirektor. Reisende dürften
während Hitzewellen südliche Reiseziele eher meiden. «Dies könnte
dazu führen, dass es mehr Europäer auf der Suche nach milderen
Temperaturen in den Sommermonaten zu Zielen in Mittel- und Osteuropa
ziehen wird.» Südliche Destinationen könnten dann wiederum mehr
Reisende im Frühjahr und Herbst erleben.
Wie sich das Reiseverhalten ändern könnte, zeigt eine Studie der
EU-Kommission. «Wir stellen bei den Veränderungen der
Tourismusnachfrage ein klares Nord-Süd-Muster fest», heißt es dort.
Bei einer Klimaerwärmung von 1,5 Grad und 2 Grad im Vergleich zur
vorindustriellen Zeit werden eher geringere Verschiebungen erwartet.
Anders sieht es bei einer Erwärmung von 3 Grad und 4 Grad aus. Die
Regionen Mittel- und Nordeuropas würden voraussichtlich ganzjährig
attraktiv für touristische Aktivitäten zum Nachteil der südlichen und
mediterranen Gebiete.
Wilhelmshaven als neue Karibik
Eine generell sinkende Nachfrage nach Urlaub im Mittelmeerraum wäre
für viele Reisekonzerne keine gute Nachricht. Spanien und Co. zählen
mit Millionen Pauschalreisen zu den Umsatzbringern. Skandinavien oder
Länder in Osteuropa sind bislang keine Pauschalreiseziele im großen
Stil. Trips an die Ost- und Nordsee organisieren viele Urlauber zudem
selbst und reisen mit dem Auto oder der Bahn an.
Tourismusexperte Kirstges schließt nicht aus, dass Nordeuropa als
Reiseziel bei weiteren Hitzesommern profitieren könnte. «Dann wird
Wilhelmshaven die neue Karibik und die Leute fahren an die deutsche
Ostsee, aber auch nach Polen oder nach Nordfrankreich oder Irland,
England, Skandinavien, Dänemark». Das gelte aber nur, wenn es dort
tatsächlich entsprechend wärmer werde: «Das Urlaubsmotiv Sonnenwärm
e
wird meines Erachtens immer das Entscheidende bleiben.»