Alles für die Katz? Kritik an Russland-Sanktionen sorgt für Unruhe Von Ansgar Haase und André Ballin, dpa

14.09.2023 15:44

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und Vertreter der AfD
fordern eine Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland. Sind die
Strafmaßnahmen so schlecht wie manche denken? Zahlen zu russischen
Öllieferungen befeuern die Diskussion.

Brüssel (dpa) - Eine florierende russische Rüstungsindustrie und hohe
Ölpreise wecken neue Zweifel an der Wirksamkeit westlicher Sanktionen
wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Müssen die USA und die EU
anerkennen, dass ihr globaler Einfluss im 21. Jahrhundert deutlich
begrenzter ist als gedacht? EU-Chefdiplomat Josep Borrell bezeichnete
düstere Einschätzungen zur Wirksamkeit von Strafmaßnahmen zuletzt als

«einfach nicht richtig». Fragen und Antworten dazu im Überblick:

Wie geht es der russischen Wirtschaft nach beispiellosen
Strafmaßnahmen des Westens?

Aus Sicht der EU alles andere als rosig. Nach Zahlen aus Brüssel
schrumpfte die russische Wirtschaftsleistung im Vorjahr um 2,1
Prozent. Besonders starke Verluste verzeichnen demnach
Hochtechnologiesektoren, die bis zum Kriegsbeginn stetig gewachsen
waren. Die Produktion von Kraftfahrzeugen ging laut EU 2022 um 48
Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, die Produktion von Computern,
Elektronik und Optik um acht Prozent.

Mit Blick auf das laufende Jahr verwies die EU zuletzt auf einen
Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD). Ihm zufolge dürfte die Wirtschaftsleistung
Russlands erneut um bis zu 2,5 Prozent sinken. Zudem wird erwartet,
dass sich die Lage des russischen Staatshaushaltes verschlechtert.
Die Regierung in Moskau verfüge zwar noch über haushaltspolitischen
Spielraum, heißt es. Die Mittel für Schulen, Krankenhäuser und
Straßen würden aber schon jetzt gekürzt, während fast ein Drittel d
es
Haushalts für Verteidigung und innere Sicherheit ausgegeben werde.

Die Fähigkeit zur Kriegsführung scheint trotz umfangreicher
Exportbeschränkungen kaum zu leiden. Woran liegt das?

Ein Grund ist, dass Russlands Rüstungsindustrie in vielen Bereichen
nicht auf Zulieferungen aus dem Westen angewiesen ist. Zudem kann der
Westen Drittstaaten nicht vorschreiben, welche Produkte sie nach
Russland liefern und welche nicht. So importiert Russland etwa manche
Hightechprodukte heute einfach aus oder über China statt aus der EU
oder über andere Nachbarstaaten. Kaum Hebel hat der Westen auch in
der Hand, um mögliche neue Waffendeals von Russland mit Ländern wie
dem Iran oder Nordkorea zu verhindern.

Politiker setzen darauf, dass sich die Sanktionen außerhalb des
Militärbereichs künftig stärker bemerkbar machen. So wird darauf
verwiesen, dass die meisten modernen Flugzeuge russischer Airlines
auf westliche Ersatzteile angewiesen sind, die verboten wurden.

Zuletzt häuften sich Stimmen, dass die Öl-Sanktionen gegen Russland
nicht die gewünschte Wirkung haben. Stimmt das?

Die Quellenlage dazu ist unübersichtlich. EU-Chefdiplomat Borrell
behauptete noch Ende August, die Öl-Sanktionen hätten sich bewährt.
Er verwies darauf, dass die Internationale Energieagentur (IEA) im
April 2023 von einem durchschnittlichen russischen Rohölexportpreis
von rund 60 US-Dollar pro Barrel berichtet habe, was einem Rabatt von
24 Dollar pro Barrel im Vergleich zum weltweiten Ölpreis entspreche.
Die IEA schätzt demnach, dass die Erdöleinnahmen insgesamt um 27
Prozent niedriger sind als im Vorjahr. Positiv sei zugleich, dass das
Gesamtvolumen der Ölexporte wie beabsichtigt aufrechterhalten worden
sei. Dies habe zur Stabilisierung der Weltmärkte beigetragen.

Die Regierung in Moskau brüstete sich hingegen zuletzt damit, dass
der Preis für Öl der russischen Marke Urals inzwischen über dem vom
Westen festgelegten Preisdeckel von 60 Dollar liege. Zudem wird auf
Zahlen verwiesen, nach denen Russland im August 17,1 Milliarden
Dollar mit dem Ölexport in Länder wie Indien und China erzielt hat.

Als ein Grund für die begrenzte Wirksamkeit der Sanktionen gilt das
Prinzip der Strafmaßnahmen. Um die Preisobergrenze für Ölexporte in
Nicht-EU-Länder durchzusetzen, wurde beschlossen, dass für russische
Ölexporte wichtige Dienstleistungen künftig nur noch dann ungestraft
geleistet werden dürfen, wenn der Preis des exportierten Öls die
Preisobergrenze nicht überschreitet. Strafmaßnahmen wegen
Sanktionsumgehungen kann die EU aber nur gegen heimische Unternehmen
erlassen. Zudem ist die Kontrolle schwierig, weil zum Beispiel
Schiffsversicherer von ihren Kunden getäuscht werden könnten.

Was ist eigentlich mit russischem Gas?

Der Import von russischem Gas und Flüssiggas in die EU ist nicht
untersagt und Unternehmen in Ländern wie Ungarn und Österreich sind
noch immer große Abnehmer. Dass Moskau die Milliarden-Erlöse aus den
Gasgeschäften bislang nicht durch Sanktionen zunichte gemacht werden,
liegt daran, dass Verbraucher dann möglicherweise extrem hohe Preise
für Energiepreise zahlen müssten.

Wie blickt die EU auf mögliche Sanktionsverstöße?

Borrell räumte jüngst ein, dass die Umgehung von EU-Sanktionen
entschlossener bekämpft werden müsse. «Zu diesem Zweck intensivieren

wir unsere Zusammenarbeit mit wichtigen Drittländern und fordern sie
nachdrücklich auf, den Handel mit von der EU sanktionierten Gütern
(...) genau zu überwachen und dagegen vorzugehen», erklärte er.

In Deutschland fordern unter anderem die Linken-Politikerin Sahra
Wagenknecht und Vertreter der AfD eine Aufhebung der Sanktionen gegen
Russland. Worum geht es ihnen?

Sie sehen weniger die Wirkung der Sanktionen auf Russland als die auf
Deutschland kritisch. Wagenknecht sagte jüngst im Bundestag,
natürlich sei der Krieg in der Ukraine ein Verbrechen. Doch riskiere
die Regierung mit einem «beispiellosen Wirtschaftskrieg» gegen
Russland die Armut von Familien in Deutschland und gefährde die
Versorgung der Industrie mit billiger Energie. Man brauche «russische
Rohstoffe und leider auf absehbare Zeit auch noch russische Energie».

Selbst mehrere Linken-Politiker distanzierten sich davon allerdings.
Wagenknecht «spricht nicht für die Linke», erklärte zum Beispiel de
r
stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin.