Europawahl: Grünen-Spitze will Kurswechsel bei CO2-Speicherung

14.09.2023 15:34

Beim Entwurf des Grünen-Programms für die Europawahl gibt es beim
zentralen Thema Klimaschutz eine Überraschung. Die Grünen geben sich
als pragmatische Partei.

Berlin (dpa) - Kurswechsel bei den Grünen: Die Parteispitze will sich
für die lange umstrittene unterirdische Speicherung von Kohlendioxid
öffnen. Das geht aus dem am Donnerstag vorgestellten Entwurf für das
Programm zur Europawahl im Juni 2024 hervor. Co-Vorsitzende Ricarda
Lang sagte in Berlin, es hinzubekommen, nach Jahrzehnten der
Versäumnisse klimaneutral zu werden, sei eine «verdammt schwierige
Frage». Sie lasse keine einfachen Antworten zu und stelle «vielleicht
auch manchmal alte Gewissheiten» in Frage.

Im Entwurf des Wahlprogramms heißt es, um die Klimaziele zu
erreichen, müsse man schnell raus aus Kohle, Öl und Gas und rein in
erneuerbare Energien und Wasserstoff. In einigen wenigen Bereichen
werde es aber auch in Zukunft Emissionen geben, die schwer oder nach
heutigem Stand der Technologie gar nicht zu vermeiden seien, etwa in
der Zementindustrie. «In diesen Bereichen wollen wir technologische
Chancen nutzen und das CO2 direkt bei der Produktion abscheiden,
speichern und gegebenenfalls nutzen», hält der Entwurf fest.

Zuerst hatte die «Süddeutsche Zeitung» über den Kurswechsel
berichtet. Im Grünen-Programm zur Europawahl 2019 hieß es noch,
«Risikotechnologien» wie die CO2-Abscheidung und -Speicherung würden

wegen der unabsehbaren Gefahren für Gesundheit, Trinkwasser und
Umwelt abgelehnt.

In Deutschland ist die Kohlendioxidspeicherung bisher auf Erprobungs-
und Demonstrationszwecke beschränkt. Bundeswirtschaftsminister Robert
Habeck (Grüne) hatte sich aber bereits für eine Neuausrichtung
ausgesprochen. In einem Ende 2022 vorgelegten Prüfbericht zum
Kohlendioxid-Speicherungsgesetz hieß es, um Klimaziele zu erreichen,
sei auch eine CO2-Speicherung notwendig.

Lang verwies zudem auf Gutachten des Weltklimarates, wo klar gesagt
werde: «Wir sind zu spät dran, auf technologischen Fortschritt zu
verzichten.» Es fänden derzeit auf nationaler Ebene Verhandlungen
über eine neue Strategie statt. Es müsse zudem einen europaweit
einheitlichen Regelungsrahmen geben.

Die Grünen-Klimaexpertin und Bundestagsabgeordnete Lisa Badum sagte,
es sei sinnvoll, dass der Bundesvorstand eine Debatte zur «Carbon
Capture and Storage»(CCS)-Technik anstoße. «Aus meiner Sicht ist
wichtig zu beachten: Es ist besser, das CO2 im Boden zu lassen, als
es mit großem Aufwand und viel Geld wieder in den Boden zu
verpressen. Bevor wir die Menge des verbrannten Mülls nicht halbiert
oder eine echte Bauwende eingeleitet haben, brauchen wir nicht über
CCS in der Abfallverbrennung oder der Zementbranche reden. Die
europäische Klimapolitik muss den Vorrang echter Dekarbonisierung vor
teuren technischen Lösungen sicherstellen.»

Die Grünen wollen ihr Programm zur Europawahl auf einem Parteitag im
November beschließen. Das sind weitere Kernpunkte des Entwurfs:

Investitionsprogramm für Innovation

Ab 2026 solle es ein großes «Investitionsprogramm für Innovation und

Resilienz» geben. Europa solle im Rahmen einer «Infrastrukturunion»
durch starke gemeinsame Infrastrukturen weiter zusammenwachsen - mit
einem «voll ausgebauten und integrierten europäischen Schienen-,
Strom- und Wasserstoffnetz». Überall in Europa solle der
klimaneutrale Umbau der Industrie genauso wie der Aufbau der
Industrien von morgen gefördert werden. «Wir setzen alles daran, dass
Europa nicht an der Seitenlinie steht, während China oder die USA
massiv in die Entwicklung ihres Standortes und der
Zukunftstechnologien investieren.»

Sicherheits- und Außenpolitik

Die Grünen wollen die europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik enger koordinieren. Dazu wollen sie etwa auf
eine größere Rolle der EU bei der Entwicklung und Beschaffung von
Rüstungsgütern setzen. Um die Zusammenarbeit im Kampf gegen
Kriminalität und Terrorismus zu stärken, wird eine «Europäische
Nachrichtendienstagentur» vorgeschlagen.

Reformen im Bahnverkehr

Um das Reisen mit dem Zug attraktiver zu machen, wollen die Grünen
ein «europaweites einheitliches Ticketsystem». Der
Grünen-Co-Vorsitzende Omid Nouripour sagte, es gebe bisher keine
einheitliche Plattform der nationalen Bahngesellschaften, um eine
Reise zum Beispiel von Berlin nach Madrid zu buchen. Im Entwurf heißt
es, Reisende sollten anschauliche und transparente Informationen zu
Kosten, Fahrzeiten sowie zur Klimawirkung der jeweiligen Reiseoption
bekommen und die für sie beste Option wählen können. «Damit Europa

auf der Schiene zusammenrückt, müssen Buchungen einfacher erfolgen.»


Die Grünen wollen außerdem in Europa für das «Flatrate-Prinzip» i
m
Öffentlichen Personennahverkehr werben, das mit dem Deutschlandticket
erfolgreich im eigenen Land etabliert worden sei. Das
Deutschlandticket solle auch in der ersten Station im Nachbarland
gelten, um den grenzübergreifenden Austausch zu stärken.