EZB legt trotz Konjunktursorgen nach: Zehnte Zinserhöhung in Folge Von Jörn Bender, dpa

14.09.2023 16:21

Die Wirtschaft im Euroraum schwächelt, die Aussichten trüben sich
ein. Das hält die EZB nicht davon ab, die Zinsen weiter anzuheben: Zu
groß sind die Sorgen, dass sich die hohe Inflation verfestigt.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Euro-Währungshüter betonen trotz
wachsender Sorgen um die Konjunktur mit der zehnten Zinserhöhung in
Folge ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die hartnäckige Inflation.
Mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) vom
Donnerstag könnte jedoch der Zinsgipfel im Euroraum erreicht sein.

Auf die Frage, ob die Tür für weitere Anhebungen offen bleibe,
verwies EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf die im obersten
Entscheidungsgremium der Notenbank abgestimmte Erklärung: «Auf
Grundlage seiner aktuellen Beurteilung ist der EZB-Rat der
Auffassung, dass die EZB-Leitzinsen ein Niveau erreicht haben, das -
wenn es lange genug aufrechterhalten wird - einen erheblichen Beitrag
zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten
wird.»

Der EZB-Rat werde dafür sorgen, dass die Leitzinsen «so lange wie
erforderlich auf ein ausreichend restriktives Niveau festgelegt
werden», betonte Lagarde. Die Französin sagte aber auch: «Wir wollen

damit nicht sagen, dass wir jetzt den Höhepunkt erreicht haben.»

Einlagenzins so hoch wie nie

Den Leitzins erhöhte die EZB um weitere 0,25 Punkte auf 4,5 Prozent.
So hoch war der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der EZB
besorgen können, zuletzt im August 2001. Der Einlagenzins, den Banken
für geparkte Gelder erhalten, erreicht mit nun 4,0 Prozent das
höchste Niveau seit Bestehen der Währungsunion 1999. Sparerinnen und
Sparer dürfen auf bessere Angebote von Banken und Sparkassen hoffen.
Kredite könnten sich dagegen weiter verteuern.

Einige Ratsmitglieder hätten lieber eine Pause eingelegt, sagte
Lagarde. Letztlich gab es ihr zufolge «aber eine solide Mehrheit, die
mit der von uns getroffenen Entscheidung einverstanden war».

EZB: Inflation wird langsamer zurückgehen

Mit der beispiellosen Serie von Zinserhöhungen seit Juli 2022 stemmt
sich die EZB gegen die hartnäckig hohe Teuerung. Mittelfristig strebt
die EZB stabile Preise bei einer Inflationsrate von 2,0 Prozent an.
Im August lagen die Verbraucherpreise im Währungsraum einer Schätzung
zufolge wie im Juli um 5,3 Prozent über Vorjahresniveau.

Für dieses Jahr sagt die EZB inzwischen eine Teuerungsrate von 5,6
(Juni-Prognose: 5,4) Prozent vorher. Für 2024 erwartet die Notenbank
ebenfalls eine höhere Rate von 3,2 (Juni: 3,0) Prozent. Für 2025 wird
nun mit einer Inflationsrate von 2,1 (2,2) Prozent gerechnet.

Konjunkturschwäche in Deutschland und im Euroraum

Höhere Zinsen verteuern Kredite, was die Nachfrage bremsen und hohen
Teuerungsraten entgegenwirken kann. Weil teurere Kredite zugleich
eine Last für die Wirtschaft sind, waren zuletzt Forderungen nach
einer Zinspause lauter geworden.

Europas größte Volkswirtschaft Deutschland war im Winter zwei
Quartale in Folge geschrumpft und damit in eine sogenannte technische
Rezession gerutscht. Im zweiten Quartal 2023 stagnierte das
Bruttoinlandsprodukt. Inflation, stockender Konsum und eine
schwächelnde Weltkonjunktur machen der Exportnation Deutschland zu
schaffen.

Die erneute Zinserhöhung sei «schlecht für die Wirtschaft»,
kritisierte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. «Die derzeitige
Geldpolitik bremst die Nachfrage aus und treibt Deutschland unnötig
in eine Rezession.» Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest,
erklärte: «Für Deutschland ist die Zinserhöhung angesichts der
Schrumpfung der Wirtschaft schmerzhaft. Die EZB macht aber
Geldpolitik nicht nur für Deutschland, sondern für den Euroraum
insgesamt.» Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis warnte jedoch, die
EZB dürfe nicht mit weiteren Zinserhöhungen überziehen: «Andernfall
s
würde sie die Wirtschaft zu stark dämpfen.»

Die EU-Kommission hat gerade erst ihre Prognosen für die Union und
für Deutschland nach unten geschraubt. Die Behörde rechnet für die EU

und für die Eurozone in diesem Jahr mit 0,8 Prozent
Wirtschaftswachstum. Die deutsche Wirtschaft wird nach dieser
Einschätzung 2023 schrumpfen.

Auch die aktuelle EZB-Konjunkturprognose fällt pessimistischer aus
als noch im Juni: Die Wirtschaft im Euroraum wird demnach in diesem
Jahr um 0,7 Prozent wachsen und damit etwas weniger als die vor drei
Monaten vorhergesagten 0,9 Prozent. Auch die Aussichten für das
kommende Jahr sind mit 1,0 (Juni-Prognose: 1,5) Prozent gedämpfter.

Lagarde: Müssen Inflation senken

Lagarde verteidigte den geldpolitischen Kurs: «Wir tun das nicht, um
eine Rezession zu erzwingen.» Es gehe darum, Preisstabilität zu
erreichen. «Wir müssen die Inflation senken.»

Die Inflation bremst den privaten Konsum als wichtige Stütze der
Konjunktur, weil sich die Menschen weniger leisten können. «Auch die
Konjunktursorgen im Euroraum lassen sich derzeit am besten über eine
weiter sinkende Inflation bekämpfen», argumentierte der
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken, Heiner
Herkenhoff. «Das wird der Kaufkraft der privaten Haushalte Halt geben
und sollte auch die hohe Planungsunsicherheit in den Unternehmen
reduzieren.»

Immerhin gab es in den jüngsten Inflationsdaten einen
Hoffnungsschimmer: Die Kernteuerung im Euroraum - die Rate ohne
schwankungsanfällige Preise etwa für Energie und Lebensmittel - ging
von 5,5 Prozent im Juli auf 5,3 Prozent im August zurück. Bei der
Kernteuerung erwartet die EZB für das Gesamtjahr 2023 einen Wert von
5,1 Prozent und 2,9 Prozent im Jahr 2024.