Ukrainisches Getreide: EU-Kommission beendet Handelsbeschränkungen Von Marek Majewsky, Doris Heimann und André Ballin, dpa

15.09.2023 20:28

Trotz Protesten von Landwirten und Drohungen aus Polen und Ungarn
lässt die EU-Kommission umstrittene Handelsbeschränkungen für
ukrainische Waren auslaufen. Polen reagiert prompt auf die
Entscheidung.

Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission beendet die umstrittenen
Handelsbeschränkungen für ukrainische Getreideprodukte. Damit stellt
sich die Behörde gegen Forderungen aus EU-Staaten wie Polen und
Ungarn, die entsprechende Einfuhren zuvor selbst beschränkt hatten,
wie aus Angaben der EU-Kommission von Freitagabend hervorgeht.
Deutschland hatte die Maßnahmen in der Vergangenheit sehr kritisch
gesehen. So hatte Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) in Brüssel immer

wieder betont, dass Solidarität mit der Ukraine nicht nur
versprochen, sondern auch gelebt werden müsse.

Die Reaktion aus Polen kam prompt: Kurz nach Bekanntgabe der
Entscheidung sagte Regierungschef Mateusz Morawiecki, man wolle auch
ohne die Zustimmung Brüssels an den Beschränkungen festhalten. «Wir
werden es tun, weil es im Interesse der polnischen Landwirte ist.»
Obwohl die EU-Kommission zuvor immer wieder betont hatte, dass sie
für Handelspolitik in der EU zuständig ist, hatte Polen bereits seit
Wochen damit gedroht, Maßnahmen eigenständig aufrechtzuerhalten. In
Polen ist der Streit um die ukrainischen Waren auch zum
Wahlkampfthema geworden. Dort wird am 15. Oktober ein neues Parlament
gewählt.

Ähnlich hatte sich auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban
geäußert. Auch in Bulgarien, Rumänien und der Slowakei gab es Kritik

an den gestiegenen Einfuhren aus der Ukraine. Innerhalb der
EU-Kommission hatte sich auch der polnische Agrarkommissar Janusz
Wojciechowski für eine Verlängerung der Einschränkungen
ausgesprochen.

EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis betonte nach der Entscheidung
hingegen: «Wir sehen derzeit keine Marktverzerrungen in diesen fünf
Mitgliedsstaaten.» Die bisherigen Einschränkungen hatten es den
östlichen EU-Mitgliedern Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und
Bulgarien erlaubt, den freien Handel mit Produkten wie Weizen, Mais,
Raps oder Sonnenblumen aus der Ukraine auf ihren Märkten zu
beschränken.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte von der Leyen
nach einem Telefonat für die Aussetzung der Handelsbeschränkungen. Er
sei froh, dass die EU-Kommissionschefin zu ihrem Wort stehe und die
Regeln des Markts verteidige, schrieb Selenskyj am Freitag auf
Telegram. Es sei wichtig, dass europäische Solidarität nun auch auf
bilateraler Ebene funktioniere und die Nachbarn der Ukraine in
Kriegszeiten helfen würden, mahnte er. Sollten Entscheidungen der
Nachbarn gegen EU-Recht verstoßen, werde die Ukraine in zivilisierter
Weise darauf reagieren.

Noch am Donnerstag hatte sich der ukrainische Außenminister Dmytro
Kuleba gegen die Beschränkungen stark gemacht. Keine Form der
Aufrechterhaltung der Maßnahmen sei akzeptabel, schrieb Kuleba auf
der Online-Plattform X (früher Twitter). Wegen des russischen
Angriffskriegs auf die Ukraine konnten zeitweise keine
Getreideexporte mehr über das Schwarze Meer aus der Ukraine auf den
Weltmarkt gelangen.

Auch derzeit sind Lieferungen über das Schwarze Meer riskant. Mitte
Juli hatte Russland ein Abkommen über Getreidelieferungen ausgesetzt,
obwohl es aus Sicht der Vereinten Nationen wichtig für die sichere
Versorgung der Welt mit Lebensmitteln ist.

Angesichts der Schwierigkeiten hatte die EU Handelswege etwa per
Straße und Schiene zwischen der Ukraine und den Staaten der
Europäischen Union ausgebaut. Landwirte aus östlichen EU-Ländern
sahen sich infolgedessen jedoch großer Konkurrenz durch die stark
gestiegenen Einfuhren ausgesetzt, woraufhin Länder wie Polen und
Ungarn eigenständig den Import bestimmter Waren beschränkten.

Die EU-Kommission hatte daraufhin eine einheitliche Regelung
eingeführt und Anfang Juni beschlossen, die Einschränkungen bis zum
15. September zu verlängern. Der Ausbau der Handelswege sei
mittlerweile ausreichend, so Dombrovskis. Man erwarte nicht, dass die
Situation wieder so dramatisch werde wie vor einem halben Jahr, «als
es in der Tat große Verzerrungen gab». Diese seien aber aufgrund
logistischer Engpässe entstanden. «Es war einfach nicht möglich,
dieses Getreide in die Länder zu bringen, die es brauchten», so der
Kommissar.

Wie die EU-Kommission nun mitteilte, habe sich die Ukraine zudem
bereit erklärt, innerhalb von 30 Tagen rechtliche Maßnahmen
einzuführen, um einen Anstieg der Getreideausfuhren zu verhindern.
Von Samstag an soll es zudem verstärkte Kontrollen der Ausfuhren
geben, um zu starke Auswirkungen der Exporte auf EU-Märkte zu
verhindern.