Selenskyj plant Besuch in Washington - EU kippt Handelsbeschränkungen

15.09.2023 21:14

Nach seiner Rede bei der UN-Generalversammlung in New York wird der
ukrainische Präsident Selenskyj nächste Woche auch Washington
besuchen. Baerbock und Blinken stimmen die Hilfe für die Ukraine ab.

Washington/Brüssel/Berlin (dpa) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj will nach seiner geplanten Rede bei der Generalversammlung
der Vereinten Nationen in New York auch Washington besuchen. Für
Donnerstag sei in der US-Hauptstadt ein Treffen mit Präsident Joe
Biden und Mitgliedern des Kongresses geplant, um die anhaltende
Unterstützung der USA für die Ukraine zu bekräftigen, bestätigte da
s
Weiße Haus am Freitag. Das dritte Treffen der beiden komme «zu einem
kritischen Zeitpunkt».

Selenskyj wird dabei um weitere Unterstützung für sein Land im Krieg
gegen Russland werben. Aktuell setzt sich Biden für zusätzliche
Hilfen in Höhe von mehr als 20 Milliarden US-Dollar (rund 18,6
Milliarden Euro) für militärische, wirtschaftliche und humanitäre
Zwecke ein. Selenskyj hatte zuletzt im Dezember 2022 Washington
besucht. Kein Land hat die Ukraine im Krieg mit mehr Geld und
Militärhilfe unterstützt als die USA - nach einer Schätzung mit
bereits mehr als 70 Milliarden US-Dollar.

Enge Abstimmung zwischen USA und Deutschland

Kurz vor der UN-Woche in New York übten die USA und Deutschland den
Schulterschluss gegen Russland und beschworen die Stärke des
transatlantischen Bündnisses. Kremlchef Wladimir Putin laufe «ins
Leere», wenn er denke, die Welt würde sich an den russischen
Angriffskrieg in der Ukraine gewöhnen, sagte Außenministerin Annalena
Baerbock nach einem Treffen mit ihrem US-Amtskollegen Antony Blinken
am Freitag in Washington.

Es gehe nicht nur um Waffenlieferungen, es gehe vor allen Dingen um
das Humanitäre, den Schutz von Infrastruktur und das Zurückholen
verschleppter Kinder, sagte die Grünen-Politikerin. Sie habe mit
Blinken darüber gesprochen, wie man die gemeinsame Winterhilfe für
die Ukraine noch enger miteinander verzahnen könne.

Blinken lobte einmal mehr das Engagement Deutschlands für die
Ukraine. Nach den USA komme Deutschland an zweiter Stelle, was den
Umfang der bereitgestellten Hilfen für das von Russland angegriffene
Land angehe, sagte er.

EU setzt Handelsbeschränkungen aus

Die EU-Kommission beendet umstrittene Handelseinschränkungen für
ukrainische Getreideprodukte. Damit stellt sich die Behörde gegen
Forderungen aus EU-Staaten wie Polen und Ungarn, die Einfuhren zuvor
selbst beschränkt hatten, wie aus Angaben der EU-Kommission von
Freitagabend hervorging. Deutschland hatte die Maßnahmen sehr
kritisch gesehen.

Wegen des russischen Angriffskriegs konnten zeitweise keine
Getreideexporte mehr über das Schwarze Meer aus der Ukraine auf den
Weltmarkt gelangen. Auch derzeit sind solche Lieferungen riskant.
Mitte Juli hatte Russland ein Abkommen über Getreidelieferungen
ausgesetzt, das wichtig für die globale Nahrungsversorgung ist.

Angesichts der Schwierigkeiten hatte die EU Handelswege ausgebaut.
Landwirte aus östlichen EU-Ländern sahen sich aber großer Konkurrenz

durch stark gestiegene Einfuhren aus der Ukraine ausgesetzt.
Daraufhin beschränkten Länder wie Polen und Ungarn eigenständig den
Import bestimmter Waren. So hatte die EU-Kommission eine einheitliche
Regelung eingeführt, die jetzt aber aufgehoben wurde.

Berlin zurückhaltend mit Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern

Trotz lauter werdender Forderungen nach der Lieferung von
Marschflugkörpern vom Typ Taurus an die Ukraine lehnt Berlin eine
rasche Entscheidung ab. Mit den Lenkflugkörpern, die eine Reichweite
bis 500 Kilometer haben, können Ziele weit hinter dem Frontverlauf
getroffen werden. Die Bundesregierung fürchtet, die Ukraine könnte
die Waffen für Angriffe auf russischem Gebiet einsetzen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) machte bei der
ersten «Westfälischen Friedenskonferenz» in Münster deutlich, auf e
in
paar Tage mehr oder weniger komme es aus seiner Sicht nicht an.
«Diese Besonnenheit muss sich die Bundesrepublik Deutschland leisten,
auch wenn es für unsere ukrainischen Freunde schwer zu verstehen
ist.» Deutschland müsse bei jedem Schritt die Folgen abwägen.

Die Ukraine fordert seit längerem die Taurus-Marschflugkörper.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich dazu bisher immer
zurückhaltend - wohl, weil er Angriffe auf russisches Gebiet
ausschließen will, wegen derer Russland dann Vergeltung üben könnte.


USA kurz vor Lieferung taktischer Raketen?

Laut US-Medien könnte allerdings Washington schon bald
Artillerie-Kurzstreckenraketen ATACMS (englisch: Army Tactical
Missile System) an Kiew abgeben, die rund 300 Kilometer Reichweite
haben. Die US-Regierung lehnte eine Lieferung bislang ab. Doch in
Washington deute sich eine Kehrtwende an, berichtete unter anderem
das «Wall Street Journal».

Pistorius: Ukraine entscheidet selbst über Verhandlungen

Die Ukraine entscheidet nach Worten von Pistorius selbst, wann der
Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen ist. Den ersten Schritt aber
müsse Putin machen, betonte der Verteidigungsminister. «Am Ende ist
Putin derjenige, der diesen Krieg beenden kann, indem er morgen seine
Truppen zurückzieht», sagte Pistorius in Münster. Der Kremlchef lasse

allerdings nicht erkennen, dass er nachlassen werde.

Der ukrainische Präsident Selenskyj fordert für einen Frieden mit
Russland unter anderem den vollständigen Abzug russischer Truppen von
ukrainischem Territorium - einschließlich der Halbinsel Krim und
Reparationszahlungen. Die Ukraine wehrt mit westlicher Hilfe seit
Februar 2022 die russische Invasion ab.