Polen begehrt gegen EU-Getreidebeschluss auf - Die Nacht im Überblick

16.09.2023 07:15

Die EU stoppt die Handelsbeschränkungen für Getreide aus der Ukraine,
doch deren Nachbarn widersetzen sich der Freigabe. Mehr Unterstützung
dürfte der ukrainische Präsident bei seinem USA-Besuch bekommen. Ein
Überblick zum Geschehen in der Nacht und ein Ausblick auf den Tag.

Brüssel/Washington/Kiew (dpa) - Die EU-Kommission beendet die
umstrittenen Handelsbeschränkungen für ukrainische Getreideprodukte -
und wird daraufhin von mehreren Mitgliedstaaten öffentlich brüskiert.
Polen, Ungarn und die Slowakei gaben am Freitagabend bekannt, dass
sie auch ohne die Zustimmung Brüssels an Importverboten für bestimmte
ukrainische Agrarprodukte festhalten wollen. Deutschland und andere
EU-Länder hatten dieses Verhalten zuvor als unsolidarisch kritisiert.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird in der kommenden
Woche nach seinem Auftritt bei der UN-Generalversammlung in New York
auch US-Präsident Joe Biden in Washington treffen, um weitere
Unterstützung im Abwehrkrieg gegen Russland zu erbitten.

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der sich im Wahlkampf
befindet und auf reichlich Stimmen von EU-Kritikern setzt, suchte am
Freitagabend die offene Konfrontation mit Brüssel: «Weil es im
Interesse der polnischen Landwirte ist», werde seine Regierung die
Anordnung der Europäischen Kommission zum ukrainischen Getreide nicht
befolgen. Damit machte er seine schon vor Wochen erhobene Drohung
wahr, obwohl die Brüsseler Behörde immer wieder betont hatte, dass
sie für Handelspolitik in der EU zuständig ist. In Polen wird am 15.
Oktober ein neues Parlament gewählt, der Streit um die ukrainischen
Waren ist dort zum Wahlkampfthema geworden.

Die bisherigen Einschränkungen hatten es den östlichen EU-Mitgliedern
Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und Bulgarien erlaubt, den freien
Handel mit Produkten wie Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumen aus der
Ukraine auf ihren Märkten zu beschränken. Bundesagrarminister Cem
Özdemir (Grüne) hatte in Brüssel immer wieder betont, dass
Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine nicht nur
versprochen, sondern auch gelebt werden müsse.

Selenskyj: Dank an von der Leyen, Warnung an Polen und Ungarn

Dennoch folgten Ungarn und die Slowakei prompt dem Beispiel Polens.
Ungarn «nimmt seine Angelegenheiten in die eigenen Hände, um die
eigenen Bauern zu schützen», erklärte ein Regierungssprecher im Namen

des Landwirtschaftsministers Istvan Nagy. Der Transit ukrainischen
Getreides durch Ungarn bleibt demnach weiter erlaubt. Der
geschäftsführende slowakische Regierungschef Ludovit Odor sagte: «Wir

müssen einen übermäßigen Druck auf den slowakischen Markt verhinder
n,
um auch gegenüber den einheimischen Landwirten fair zu bleiben.»

Selenskyj ging in seiner täglichen Videobotschaft am Freitag auf die
Streitigkeiten ein. Er habe EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen
für das Ende der Handelsbeschränkungen gedankt, sagte er. «Europa
gewinnt immer, wenn Verträge funktionieren und Versprechen
eingehalten werden», betonte Selenskyj. Er kündigte Gegenmaßnahmen
an, sollten sich Polen, Ungarn und die Slowakei - die er nicht
namentlich nannte - gegen die Ausfuhr ukrainischen Korns sperren.
Solches Verhalten sei angesichts der russischen Seeblockade nicht im
Sinne guter Nachbarschaft, kritisierte Selenskyj.

USA bestätigen Bidens Treffen mit Selenskyj

Mehr Unterstützung kann sich die Ukraine von ihrem wichtigsten
Verbündeten erhoffen, wenn US-Präsident Biden kommende Woche den
ukrainischen Staatschef empfängt. «Es wird das dritte Treffen der
beiden sein und es kommt zu einem kritischen Zeitpunkt», sagte
Biden-Berater Jake Sullivan. Der US-Präsident freue sich darauf,
seiner Unterstützung für die Ukraine Nachdruck zu verleihen und
weiterhin eine weltweite Führungsrolle in dieser Sache einzunehmen.
Ein Termin für das Treffen werde in den kommenden Tagen verkündet.

Zuvor wird Selenskyj am New Yorker East River vor der
Generalversammlung der Vereinten Nationen sprechen. Außerdem sind
Treffen mit US-Kongressmitgliedern in Washington geplant. Im Senat
erfährt die Ukraine seit Kriegsbeginn breite Unterstützung durch
beide Parteien, im Repräsentantenhaus nahm zuletzt aber die Kritik an
den anhaltenden Hilfszahlungen zu. Dort haben die Republikaner eine
knappe Mehrheit.

Kiew gibt Rückeroberung einer weiteren Ortschaft bekannt

Unterdessen bestätigte Selenskyj die Rückeroberung der nahe Bachmut
im Gebiet Donezk gelegenen Ortschaft Andrijiwka von den russischen
Besatzern. Auch in den anliegenden Ortschaften Klischtschijiwka und
Kurdjumowka seien die eigenen Truppen aktiv. Die Befreiung von
Andrijiwka hatte der Generalstab bereits am Morgen gemeldet, nachdem
sich ähnliche Meldungen am Vortag noch als verfrüht herausgestellt
hatten.

Medien: Russlands General Surowikin mit Delegation in Algerien

Der nach dem Putsch der Wagner-Söldner lange verschollene russische
General Sergej Surowikin soll Medienberichten zufolge mit einer
Delegation des Verteidigungsministeriums zu Verhandlungen in Algerien
sein. Die Reise zeuge davon, dass die Militärführung in Moskau der
Kooperation mit arabischen Ländern größere Bedeutung zumesse und
weiter Vertrauen in Surowikin habe, zitierte die Tageszeitung
«Kommersant» einen Informanten aus dem Umfeld des Generals.

Surowikin war von Oktober 2022 bis Januar 2023 Oberbefehlshaber der
russischen Truppen in der Ukraine gewesen. Er galt als einer der
wichtigsten Verbündeten des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschins in der
russischen Armee bei dessen Machtkampf mit dem
Verteidigungsministerium. Den Aufstand von Prigoschins Söldnern Ende
Juni verurteilte Surowikin zwar öffentlich, er wurde danach aber
nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Mitte August wurde er dann
Medienberichten zufolge seines Amtes als Chef der russischen Luft-
und Raumfahrtstreitkräfte enthoben. Erst Anfang September tauchte er
erstmals wieder in der Öffentlichkeit auf.

Baerbock weiterhin zurückhaltend zu Taurus-Lieferung

Zur Forderung der Ukraine nach weitreichenden modernen deutschen
Marschflugkörpern vom Typ Taurus äußerte sich Bundesaußenministerin

Annalena Baerbock weiterhin zurückhaltend. Hier müssten sensible
Fragen beantwortet werden, «was nicht so einfach ist, wie es auf den
ersten Blick vielleicht klingen mag», sagte die Grünen-Politikerin
nach einem Treffen mit US-Außenminister Antony Blinken am Freitag in
Washington. Man sei intensiv in der Prüfung. Dem Fernsehsender Welt
sagte Baerbock, sie unterstützte die Haltung des Bundeskanzlers, nur
im engen Schulterschluss mit den USA zu entscheiden: «Wir arbeiten da
Hand in Hand mit den Amerikanern. Deswegen spielen die Entscheidungen
der Amerikaner da auch mit rein.» Man bleibe dazu im engen Austausch,
wie das auch bei den Leopard-2-Panzern der Fall gewesen sei.

Was am Samstag wichtig wird

In der Ukraine gehen die Kämpfe weiter. Zuletzt haben sich vor allem
die Gefechte nahe Bachmut wieder intensiviert. Es bleibt abzuwarten,
ob den ukrainischen Truppen hier ein weiterer Vormarsch gelingt.