EU hebt Embargo gegen Getreide aus Ukraine auf - Gesprächsbedarf

16.09.2023 12:57

Die EU hebt Handelsbeschränkungen für ukrainisches Getreide auf und
bringt mehrere Mitgliedsländer gegen sich auf. Polen, Ungarn und die
Slowakei wollen nun nationale Lösungen, um ihre Märkte zu schützen.

Santiago de Compostela (dpa) - Die EU-Kommission hat ihre
Entscheidung für ein Ende der Importbeschränkungen für ukrainische
Getreideprodukte verteidigt und gleichzeitig Gesprächsbedarf mit
osteuropäischen Mitgliedsstaaten eingeräumt. «Wir brauchen
außergewöhnliche Umstände, um diese Art von Beschränkungen zu
rechtfertigen, und derzeit sehen wir, dass es keine Störung oder
Verzerrung auf dem Markt dieser fünf Mitgliedstaaten gibt», sagte
EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis am Samstag am Rande eines
Treffens der EU-Finanzminister im spanischen Santiago de Compostela.
Die Europäische Kommission werde die Situation weiter beobachten und
bereit sein, auch wieder Beschränkungen einzuführen, «wenn die
Marktsituation dies rechtfertigt».

Die Brüsseler Behörde hatte am Freitagabend mitgeteilt, das
Getreideembargo werde beendet. Die bisherigen Einschränkungen hatten
es den östlichen EU-Mitgliedern Ungarn, Polen, Slowakei, Rumänien und
Bulgarien erlaubt, den Handel mit Produkten wie Weizen, Mais, Raps
oder Sonnenblumen aus der Ukraine auf ihren Märkten zu beschränken.

Polen, Ungarn und die Slowakei gaben nach der Entscheidung bekannt,
dass sie auch ohne die Zustimmung Brüssels an Importbeschränkungen
für bestimmte ukrainische Agrarprodukte festhalten wollen. Ungarn
betonte, der Transit ukrainischen Getreides bleibe aber erlaubt.
Deutschland und andere EU-Länder hatten dieses Verhalten zuvor als
unsolidarisch kritisiert. Bulgarien hatte eine Aufhebung der
Importbeschränkungen bereits am Donnerstag beschlossen.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir betonte, die Aufhebung des
Importstopps auf ukrainisches Getreide sei richtig. «Die Ukraine
braucht weiter unsere Hilfe - und das so lange, wie es eben nötig
ist. Das bedeutet auch, dass wir Herausforderungen solidarisch
angehen und Krisen nicht gegeneinander ausspielen», sagte der
Grünen-Politiker am Samstag in Berlin. Es dürfe keine nationalen
Alleingänge geben, sondern ein geeintes Vorgehen von Kommission und
allen 27 Mitgliedstaaten. «Alles andere spielt nur Putin in die Hände
- und stellt die Grundprinzipien unseres Binnenmarktes in Frage.»

Özdemir forderte, der langfristige Ausbau alternativer Exportrouten
in der EU müsse Priorität haben. Die Ukraine sei auf die Einnahmen
aus dem Getreidehandel angewiesen, und ihre Produkte würden vor allem
im globalen Süden benötigt. «Wir werden sicherlich bereits am Montag

den nächsten Agrarrat in Brüssel für weitere Diskussionen nutzen.»


Dombrovskis betonte, die Ukraine habe einem System zugestimmt, das
einen Anstieg der Exporte in die betreffenden fünf Mitgliedstaaten
verhindere. «Es gibt auch Elemente, die den Mitgliedsstaaten
versichern, dass es nicht zu einem Anstieg der Importe aus der
Ukraine kommen wird.» Wichtig sei jetzt, dass alle konstruktiv
zusammenarbeiten. Als erster Schritt müssten weitere Gespräche
geführt werden: «Denn leider haben wir erst gestern eine Einigung
über das Ausfuhrlizenzsystem für die Ukraine erzielt, also praktisch
an dem Tag, an dem die Maßnahmen auslaufen sollten.»

Die Reaktion aus Polen kam prompt: Regierungschef Mateusz Morawiecki
sagte, man wolle auch ohne Zustimmung Brüssels an den Beschränkungen
festhalten. «Wir werden es tun, weil es im Interesse der polnischen
Landwirte ist.» Obwohl die EU-Kommission zuvor immer wieder betont
hatte, dass sie für Handelspolitik in der EU zuständig ist, hatte
Polen bereits seit Wochen damit gedroht, Maßnahmen eigenständig
aufrechtzuerhalten. In Polen ist der Streit auch zum Wahlkampfthema
geworden. Dort wird am 15. Oktober ein neues Parlament gewählt.

Dem Beispiel Polens schlossen sich Ungarn und die Slowakei an. Ungarn
«nimmt seine Angelegenheiten in die eigenen Hände, um die eigenen
Bauern zu schützen», wurde Landwirtschaftsminister Istvan Nagy
zitiert. Das slowakische Verbot gilt nach Angaben des kommissarisch
amtierenden Regierungschefs Ludovit Odor bis zum Jahresende für
Weizen, Mais, Raps und Sonnenblumensamen. «Wir müssen einen
übermäßigen Druck auf den slowakischen Markt verhindern, um auch
gegenüber den einheimischen Landwirten fair zu bleiben», sagte er.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte auf Telegram
die Aussetzung der Handelsbeschränkungen. Sollten Entscheidungen der
Nachbarn gegen EU-Recht verstoßen, werde die Ukraine in zivilisierter
Weise darauf reagieren.

Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine konnten zeitweise
keine Getreideexporte mehr über das Schwarze Meer aus der Ukraine auf
den Weltmarkt gelangen. Auch derzeit sind Lieferungen über das
Schwarze Meer riskant. Mitte Juli hatte Russland ein Abkommen über
Getreidelieferungen ausgesetzt, obwohl es aus Sicht der Vereinten
Nationen wichtig für die Versorgung der Welt mit Lebensmitteln ist.

Angesichts der Schwierigkeiten hatte die EU Handelswege etwa per
Straße und Schiene zwischen der Ukraine und den Staaten der
Europäischen Union ausgebaut. Landwirte aus östlichen EU-Ländern
sahen sich infolgedessen jedoch großer Konkurrenz durch die stark
gestiegenen Einfuhren ausgesetzt.