Von der Leyen reist nach Lampedusa - Hunderte Migranten kommen an

16.09.2023 19:44

Mehrere Tausend Bootsmigranten halten die überlastete Mittelmeerinsel
Lampedusa in Atem. Italiens Regierungschefin pocht auf ein Eingreifen
der EU, um Migranten schon auf dem Weg nach Europa zu stoppen.
EU-Kommissionschefin von der Leyen will die Insel besuchen.

Lampedusa (dpa) - Nach der Ankunft Tausender Migranten auf Lampedusa
hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurzfristig einen
Besuch auf der kleinen Mittelmeerinsel angekündigt. Die italienische
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sieht die EU in der Pflicht, das
Mittelmeerland zu unterstützen. Sie forderte etwa eine europäische
Mission, um Migrantenboote auf dem Weg nach Europa zu stoppen. Falls
nötig, müsse die Marine eingesetzt werden, sagte die
Rechtspolitikerin in einer Videobotschaft. Nach ihrer Vorstellung
sollten die Menschen bereits in Nordafrika vom Ablegen abgehalten
werden. Ein solcher Einsatz müsse «sofort» starten, forderte sie.

Auf der kleinen Insel zwischen Sizilien und Nordafrika sind seit
Wochenbeginn mehrere Tausend Bootsmigranten angekommen. Nach einer
Zeit, in der verhältnismäßig weniger Migranten auf der Insel
landeten, scheint das gute Wetter dafür gesorgt zu haben, dass viele
Boote auf einmal losgefahren sind. Allein am Dienstag kamen mehr als
5000 Menschen an - so viele wie noch nie an einem einzigen Tag.
Zeitweise war das Erstaufnahmelager mit rund 6800 Menschen maßlos
überfüllt. Wegen der Nähe zur tunesischen Küstenstadt Sfax gehört

Lampedusa seit Jahren zu den Brennpunkten der Migration nach Europa.
Der Stadtrat rief wegen der Lage den Notstand aus.

Meloni lud von der Leyen nach Lampedusa ein, «um sich persönlich den
Ernst der Lage, in der wir uns befinden, bewusst zu machen». Ein
Sprecher von der Leyens sagte der Deutschen Presse-Agentur am Rande
einer Veranstaltung in Hanau, die Kommissionschefin werde am Samstag
zunächst nach Rom und später mit Meloni nach Lampedusa reisen. Ein
weiterer Kommissionssprecher teilte kurze Zeit später über die
Plattform X (früher Twitter) mit, die Reise auf die Insel sei für
Sonntag vorgesehen.

Unterdessen erreichten am Samstag erneut mehrere Hundert Menschen
Lampedusa. Mehr als 800 Menschen seien auf mehr als einem Dutzend
Booten bis zum Nachmittag angekommen, meldete die italienische
Nachrichtenagentur Ansa. Auf einem der Boote starb italienischen
Medienberichten zufolge ein Baby, das während der Überfahrt geboren
wurde. Bei der Mutter setzten auf dem Kahn die Wehen ein. Mit der
Hilfe von anderen Mitreisenden brachte sie das Baby zur Welt. Laut
den Berichten starb der Säugling kurz nach der Geburt.

Angesichts der Lage auf Lampedusa beriet sich Bundesinnenministerin
Nancy Faeser (SPD) am Samstagnachmittag mit ihren Amtskollegen aus
Italien, Frankreich und Spanien. Die Telefonkonferenz, an der auch
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson teilnahm, brachte jedoch kein
konkretes Ergebnis, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums
auf Anfrage mit. Faeser habe betont, «dass sich Deutschland immer
solidarisch gezeigt hat und dies auch weiter tun wird». Außerdem habe
sie humanitäre Unterstützung Deutschlands angeboten. Italiens
Innenminister Matteo Piantedosi forderte laut Mitteilung, eine «neue
operative Strategie», die darauf abziele, konkrete Initiativen zu
ergreifen, um die Überfahrten zu stoppen.

Die EU muss nach Melonis Worten ihr Land unterstützen. Sie habe
deswegen den Präsidenten des Europäischen Rats, Charles Michel,
gebeten, das Migrationsthema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels im
Oktober zu setzen. Die Regierungschefin betonte die Wichtigkeit des
geplanten Abkommens mit Tunesien. Die vereinbarten finanziellen
Mittel müssen nach ihren Worten schnellstmöglich übertragen werden,
um den Deal zu beschleunigen.

Tunesien ist eines der wichtigsten Transitländer für Migranten auf
dem Weg nach Europa. Die EU-Kommission plant derzeit ein
Migrationsabkommen mit dem nordafrikanischen Land. Im Gegenzug für
millionenschwere Finanzhilfen aus der EU soll Tunesien künftig
stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen, um dort
die Abfahrten von Menschen in Richtung Europa zu reduzieren.

Meloni sagte, ihr Land und Europa könnten die enorme Zahl an Menschen
nicht aufnehmen. «Der Migrationsdruck, den Italien seit Anfang dieses
Jahres erlebt, ist unhaltbar», sagte die Rechtspolitikerin. Sie
beabsichtige, «außergewöhnliche Maßnahmen» zu ergreifen. Meloni
kündigte an, die Maßnahmen sollten am Montag in einer
Kabinettssitzung beschlossen werden.

Italien wird seit Oktober 2022 von einer Rechtsallianz regiert. Die
ultrarechte Meloni versprach, die Migration einzuschränken. Bislang
konnte sie das Wahlversprechen nicht erfüllen. Seit Jahresbeginn
kamen laut Zahlen des Innenministeriums in Rom schon mehr Migranten
als im gesamten Jahr 2022 über das Meer nach Italien. Bis zum 15.
September waren es rund 127 200 Menschen (Stand 15. September) - im
Vorjahreszeitraum waren es rund 66 200 gewesen.