Vor Wohnungsbaugipfel: Bundesregierung kippt geplanten Ökostandard
25.09.2023 11:41
Hunderttausende Wohnungen werden gebraucht, aber zu wenige gebaut:
Wie kommt die Branche wieder in Schwung? Vor einem Treffen im
Kanzleramt hat die Koalition erstmal interne Streitpunkte geklärt.
Berlin (dpa) - Mehr Unterstützung für Familien beim Kauf oder Bau der
eigenen vier Wände, neue Steuervorteile bei Bauprojekten und die
Abkehr von geplanten Energiestandards: Vor dem Baugipfel am Montag
hat sich die Bundesregierung auf ein Paket mit 14 Punkten geeinigt,
um den lahmenden Wohnungsbau anzukurbeln. Die Immobilien- und die
Bauwirtschaft reagierten «vorsichtig optimistisch».
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will am frühen Nachmittag (ab 14.00
Uhr) mehr als 30 Verbände sowie Vertreter von Ländern und Kommunen
zum «Bündnis-Tag zum bezahlbaren Wohnraum» empfangen.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte bereits am Wochenende
neue Hilfen in Aussicht gestellt und war auf Distanz zu dem im
Koalitionsvertrag für 2025 vereinbarten Energiesparstandard EH40 für
Neubauten gegangen.
Darauf ließ sich nun auch Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ein. Er
erklärte in Berlin: «Mit der Einführung des Gebäudeenergiegesetzes
ist sichergestellt, dass Neubauten ab 2024 klimafreundlich heizen.
Deshalb halte ich es nicht mehr für nötig, jetzt auf die Schnelle den
neuen Standard EH 40 einzuführen. Das kann noch warten, vor der
EU-Gebäuderichtlinie macht es auch keinen großen Sinn.»
EH40 heißt: ein Bedarf von 40 Prozent der Energie eines
Vergleichsneubaus. Derzeit gilt der Standard EH55 für Neubauten. EH40
sollte den Energiebedarf für das Heizen weiter senken und damit auch
den Ausstoß von Klimagasen. Doch wird das Bauen damit aufwendiger und
teurer.
Das käme zu einer Zeit ohnehin steigender Kosten wegen stark erhöhter
Bauzinsen und teurer Baustoffe. Alles zusammen hat dazu geführt, das
immer weniger neue Wohnbauprojekte gestartet werden. Zugleich sind
bezahlbare Wohnungen in Metropolen immer schwerer zu finden.
Das 14-Punkte-Papier für den Baugipfel lag der Deutschen
Presse-Agentur am Montag vor. Zuvor hatten der «Spiegel» und das
Nachrichtenportal «The Pioneer» darüber berichtet. Darin heißt es z
um
Beispiel:
Bei Verhandlungen auf EU-Ebene will sich die Regierung «für
anspruchsvolle Sanierungsquoten für den gesamten Gebäudebestand»
einsetzen, aber gegen verpflichtende Sanierungen einzelner
Wohngebäude.
Bei Bauvorhaben soll es Steuervorteile durch besondere
Abschreibungsregeln, die sogenannte Afa, geben. Der «Klimabonus», der
Hauseigentümer beim Tausch alter, fossiler gegen neue,
klimafreundliche Heizungen fördert, soll erhöht und auch auf
Wohnungsunternehmen und Vermieter ausgeweitet werden.
Den Ländern soll eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer
ermöglicht werden.
Im Zeitraum von 2022 bis 2027 sollen ihnen «Programmmtitel in Höhe
von insgesamt 18,15 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur
Verfügung» gestellt werden. In Städten und Kommunen mit angespannten
Wohnungsmärkten soll der Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfacht und
beschleunigt werden. KfW-Förderprogramme sollen attraktiver
ausgestaltet und erweitert werden.
Die anpeilte sogenannte Wohngemeinnützigkeit soll im kommenden Jahr
an den Start gehen. Dabei sollen Vermieter, die dauerhaft bezahlbaren
Wohnraum zur Verfügung stellen, steuerlich begünstigt und gefördert
werden.
Der Immobilienverband ZIA erklärte zu den Plänen der Regierung: «Ein
neuer Realismus beim Klimaschutz und klare steuerliche
Entlastungssignale zeigen: Die Gespräche der letzten Wochen haben
sich gelohnt.» ZIA-Präsident Andreas Mattner sprach von einem «echten
Ruck». Doch brauche es noch mehr.
Auch Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der
Deutschen Bauindustrie, lobte das Paket als «umfangreicher als
erwartet» und fügte hinzu: «Wichtig für die Branche ist nun die
Prüfung eines attraktiveren Zinsverbilligungsprogramms, wie es in dem
Papier durch die Bundesregierung vorgesehen ist.»
Grünen-Chefin Ricarda Lang erhofft sich von dem Wohnungsgipfel auch
eine Stärkung der Mieterrechte. Sie sagte der Funke Mediengruppe:
«Bei der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt ist Neubau ein Teil
der Lösung, reicht aber alleine nicht aus.» Die rasant steigenden
Mieten würden zur Belastungsprobe bis in die Mitte der Gesellschaft.
Nötig sei eine «Mieterschutzoffensive für bezahlbares Wohnen».