Streit um Grenzkontrollen - Brandenburgs Innenminister schlägt Alarm

25.09.2023 16:03

Was würden mehr Kontrollen an deutschen Grenzen bringen? Und warum
geben die Kommunen selten Sachleistungen an Asylbewerber aus? Beide
Fragen sind nicht nur zwischen Regierung und Opposition umstritten.
Auch innerhalb der Ampel-Koalition wird der Ton schärfer.

Berlin/Neuhausen (dpa) - Die Zahl der Schleusungen und unerlaubten
Einreisen über die deutsch-polnische Grenze in Brandenburg steigt
weiter deutlich. In den vergangenen zwei Wochen seien 550 Menschen
festgestellt worden, die illegal über die Grenze gebracht worden
seien, sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) am
Montag. Im Durchschnitt seien das 50 aufgegriffene illegal
Eingereiste pro Tag - nach durchschnittlich 35 im August. Acht
Schleuser seien gefasst worden. «Die Zunahme der illegalen
Schleusungen gerade über die deutsch-polnische Grenze sprengt gerade
jeden Rahmen», sagte Stübgen bei einem Besuch im Kreis Spree-Neiße.


Die meisten dieser Migranten stammen dem Innenressortchef zufolge aus
Syrien, dahinter folgten Menschen aus der Türkei, kleinere Gruppen
kämen aus Indien, Afghanistan und dem Irak. Stübgen forderte vom Bund
erneut die rasche Einrichtung stationärer Kontrollen an der Grenze
nach Polen und auch nach Tschechien. «Es ist schon viel zu viel Zeit
vergangen», kritisierte er. In diesem Jahr gab es bis August laut
Bundespolizei insgesamt 70 753 unerlaubte Einreisen.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) führt nach Angaben ihres Sprechers
derzeit Gespräche mit Polen und Tschechien über mögliche «zusätzl
iche
grenzpolizeiliche Maßnahmen». Am Wochenende habe es Kontakte mit dem
tschechischen Innenminister und auf hoher Beamtenebene auch mit der
polnischen Seite gegeben. Die Bundesinnenministerin werde noch vor
dem EU-Innenministertreffen an diesem Donnerstag auch mit ihrem
polnischen Amtskollegen über das Thema beraten, so dass sehr schnell
zusätzliche Maßnahmen getroffen werden könnten.

Es gehe darum, im gesamten Grenzgebiet mit der Bundespolizei präsent
zu sein und kontrollieren zu können, «gegebenenfalls auch schon auf
der anderen Seite der Grenze, so wie wir das beispielsweise mit der
Schweiz machen mit gemeinsamen grenzpolizeilichen Maßnahmen», sagte
der Sprecher. Ziel sei es, noch mehr Schleuser aufzugreifen.

Seit Herbst 2015 gibt es solche vorübergehenden Kontrollen direkt an
der Grenze in Bayern - an der Grenze zu Österreich. Sie werden vom
Bundesinnenministerium bei der EU-Kommission angemeldet und jeweils
verlängert. Für andere Grenzabschnitte hat Faeser solche Kontrollen,
die in Brüssel mit einem Vorlauf von etwa einem Monat beantragt
werden müssen, bislang für nicht sinnvoll erachtet.

Die Grünen halten ständige Kontrollen direkt an der Grenze und die
von Unionspolitikern und der FDP ebenfalls vorgeschlagene Ausgabe von
Sachleistungen an Asylbewerber dagegen nicht für sinnvolle Maßnahmen
zur Bewältigung der aktuellen Fluchtzuwanderung. Die Verteilung von
Sachleistungen sei bereits erlaubt, sagte der Co-Vorsitzende Omid
Nouripour am Montag in Berlin nach einer Sitzung des
Parteivorstandes. Sie werde aber wegen des damit verbundenen großen
Arbeitsaufwands für die Kommunen kaum praktiziert. Mobile Kontrollen
seien auch wegen der Belastung für die Bundespolizei besser als
stationäre Kontrollen an den deutschen Grenzen, fügte er hinzu.

In der Flüchtlingspolitik gebe es weder einfache noch schnelle
Lösungen, betonte der Grünen-Politiker. Deshalb täten die Politiker
der demokratischen Parteien gut daran, «auf Parolen zu verzichten».
Einige Äußerungen politischer Mitbewerber aus den vergangenen Tagen
seien offensichtlich den Landtagswahlkämpfen geschuldet. Wohl in
Anspielung auf die FDP kritisierte er, wenn eine Partei befürchte,
die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden zu können, so sei dies kein
e
Entschuldigung dafür, «dass man die Untergrenze für Anstand
verletzt». In Hessen und Bayern sind am 8. Oktober Landtagswahlen.

Aus Sicht der Grünen müssten die Kommunen schnell finanziell
entlastet werden, damit sie die Unterbringung und Integration der
Geflüchteten bewältigen könnten. Wichtig sei außerdem, dass mögli
chst
schnell mit Herkunftsstaaten Abkommen über Migration- und Rückführung

vereinbart würden. Auch müsse der «Integrationsmotor Arbeitsmarkt»

schneller angeworfen werden. Dafür sollten die Möglichkeiten genutzt
werden, aus dem Asylverfahren in die Erwerbsmigration zu wechseln.
«Spurwechsel - das ist das Gebot der Stunde», sagte Nouripour.

Bis Ende August registrierte das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge mehr als 204 000 Erstanträge auf Asyl - ein Plus von 77
Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Untergebracht und
versorgt werden müssen zudem mehr als eine Million Kriegsflüchtlinge
aus der Ukraine.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bekräftigte unterdessen seine
Kritik am grünen Koalitionspartner. Die Bundesregierung müsse beim
Thema Migration ein gemeinsames Verständnis für die Realität im Land

haben, sagte er nach Beratungen des FDP-Präsidiums. «Es wird nicht
funktionieren, wenn ein Koalitionspartner die Dinge anders sieht oder
durch Bedenken gesamteuropäische Lösungen aufhält.» Djir-Sarai ha
tte
am Wochenende gesagt: «Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder
bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in
der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und
erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes
Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen.»

Auf Nachfrage nannte er am Montag als ein Beispiel die sogenannte
EU-Krisenverordnung. Diese sei von zentraler Bedeutung für eine
europäische Einigung. «Aus meiner Sicht ist es außerordentlich
problematisch, wenn Teile der Bundesregierung der Auffassung sind,
dass das so nicht kommen soll.»

Die Krisenverordnung soll Teil eines Reformpakets für das
EU-Asylsystem werden. Im Sommer waren Gespräche über die Verordnung
vorerst gescheitert - vor allem wegen Bedenken aus Berlin. Bei dem
Vorhaben geht es etwa um längere Fristen für die Registrierung von
Asylgesuchen an den Außengrenzen, wenn sehr viele Schutzsuchende
innerhalb kurzer Zeit ankommen, sowie um eine dann mögliche Absenkung
von Standards für Unterbringung und Versorgung.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte im Deutschlandfunk,
sie und Innenministerin Faeser arbeiteten daran, «dass wir in Europa
endlich zu gemeinsamen Regelungen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik
kommen». Es brauche Struktur und Ordnung. An den Außengrenzen müssten

klare Regeln geschaffen werden, «damit endlich Menschen geordnet in
Europa verteilt werden». Sie verwies auf schnelle Verfahren an den
Außengrenzen und schnelle Rückführungen.