Werden Grenzkontrollen jetzt ausgeweitet und was würde das bringen? Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

26.09.2023 15:43

Kommen sie jetzt oder kommen sie nicht, die Kontrollen an der Grenze
zu Tschechien und Polen? Selbst in der Ampel-Regierung waren einige
Innenpolitiker zuletzt etwas ratlos angesichts der nicht ganz
eindeutigen Signale, die dazu aus dem Bundesinnenministerium drangen.

Berlin (dpa) - Vor allem über Tschechien und Polen, aber auch auf
anderen Routen kommen seit einigen Monaten wieder mehr Asylbewerber
nach Deutschland. Zwischen Anfang Januar und Ende August haben mehr
als 204 000 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag
gestellt. Viele von ihnen stammen aus Ländern wie Syrien oder
Afghanistan, deren Staatsbürger in der Regel einen Schutzanspruch in
der Europäischen Union geltend machen können. Damit der Anteil
derjenigen unter ihnen, die ihren Asylantrag in Deutschland stellen,
nicht weiter steigt, rufen einige Innenpolitiker in Bund und Ländern
schon seit Wochen nach stationären Kontrollen an den Grenzen zu
Tschechien und Polen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält das bisher nicht für
sinnvoll. In einem Interview sagt die Ministerin am Dienstag zwar,
sie bereite «stationäre Grenzkontrollen mit vor». Kontrollen, wie es

sie seit 2015 in Bayern an der Grenze zu Österreich gibt, meint sie
damit aber wohl nicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Kommen jetzt die stationären Kontrollen an den Grenzen?

Nein, das sieht im Moment nicht so aus. Denn die müssen bei der
EU-Kommission beantragt werden, und das ist bisher nicht geschehen -
und nach Informationen aus dem Bundesinnenministerium auch erst
einmal nicht geplant. Stattdessen plant Faeser verstärkte Kontrollen
in der Nähe der Grenze und vertritt die Rechtsauffassung, dass die
Bundespolizei dabei punktuell - etwa wenn man dort gerade eine
Schleusung vermutet - auch direkt an der Grenze Fahrzeuge anhalten
kann. Außerdem will Faeser mehr gemeinsame Streifen mit Polen und
Tschechien.

Was spricht für stationäre Kontrollen?

Schleuser sind dadurch leichter zu schnappen, denn bei Kontrollen
jenseits der Grenze sind sie oft schon verschwunden, wenn die Polizei
die irregulär eingereisten Menschen aufgreift. Zurückweisungen an
Schengen-Binnengrenzen sind rechtlich nur dann zulässig, wenn zuvor
die temporäre Wiedereinführung von Grenzkontrollen gegenüber der
EU-Kommission notifiziert wurde. Allerdings kommen Zurückweisungen
ohnehin nur in relativ wenigen Fällen zur Anwendung, etwa wenn ein
Ausländer mit einer Einreisesperre belegt ist oder keinen Asylantrag
stellt.

Wie oft kommt es konkret zu Zurückweisungen?

An den Grenzkontrollstellen an der deutsch-österreichischen
Landgrenze wurden im ersten Halbjahr 2023 nach Angaben der
Bundesregierung 4489 Menschen zurückgewiesen. Im gleichen Zeitraum
wurden an der deutsch-schweizerischen Landgrenze, wo die
Bundespolizei gemäß einer Vereinbarung mit Bern auf schweizerischem
Hoheitsgebiet in Zügen kontrollieren darf, 4787 Ausländer
zurückgewiesen, vor allem weil sie keine gültigen Reisedokumente
vorweisen konnten.

Was spricht gegen stationäre Grenzkontrollen?

Sie binden viel Personal. Wenn die Kontrollen an einer Stelle
verstärkt werden, nehmen die unerlaubten Einreisen erfahrungsgemäß
nach einer Weile an einem anderen Grenzabschnitt zu, weil sich die
Menschen, die nach Deutschland wollen, und ihre Schleuser darauf
eingestellt haben. Außerdem fällt es oft schwer, wenn solche
Kontrollen erst einmal eingeführt wurden, einen Ausstieg zu finden.
Denn das wirkt dann leicht wie ein Signal, dass ein Staat seine
Bestimmungen mit Blick auf irreguläre Migration lockern will. Das
zeigt das Beispiel der Kontrollen in Bayern. Die waren im Herbst 2015
erstmals beantragt worden - damals hieß der Bundesinnenminister noch
Thomas de Maizière und kam von der CDU. Seither sind sie immer wieder
verlängert worden - auch von Nancy Faeser. Das ärgert vor allem die
Grünen, die solche Kontrollen generell für falsch halten.

Wo in der EU gibt es aktuell sonst noch stationäre Kontrollen?

Obwohl im Schengen-Raum eigentlich das Prinzip der offenen
Binnengrenzen gilt, sind es aktuell mehrere Staaten, die diese Karte
gezogen haben. Spanien hat beispielsweise vom 28. September an für
einige Tage Kontrollen angekündigt und dies mit
Sicherheitsvorkehrungen rund um die informelle Tagung der Staats- und
Regierungschefs in Granada begründet. An Häfen mit Fährverbindungen
zu Schengen-Staaten kontrolliert Norwegen aktuell und begründet dies
mit Risiken für kritische Infrastruktur an Land und im Seegebiet
sowie der Gefahr durch russische Geheimdienstaktivitäten. Dänemark
führt für seine Kontrollen an der Landgrenze zu Deutschland gleich
mehrere Gründe an, unter anderem organisierte Kriminalität,
irreguläre Migration und die Bedrohung durch islamistischen Terror.
Österreich hat für einige Abschnitte Grenzkontrollen notifiziert,
Schweden für alle Binnengrenzen. Auch Frankreich hat unter Verweis
auf Terror-Risiken und irreguläre Migration über die zentrale
Mittelmeerroute und die sogenannte Balkanroute Kontrollen an seinen
Grenzen zu Belgien, Luxemburg, Deutschland, Italien, Spanien und der
Schweiz beantragt. Die Franzosen kontrollieren aber nicht überall
rund um die Uhr, sondern eher punktuell und lageangepasst.

Was sagen die Gewerkschaften?

Die Deutsche Polizeigewerkschaft macht sich für stationäre Kontrollen
stark. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält dagegen das
französische Modell für besser. «Wir hatten zuletzt zwölf
Hundertschaften der Bereitschaftspolizei an den Binnengrenzen und im
Grenzraum», sagt Andreas Roßkopf, Vorsitzender des GdP-Bezirks
Bundespolizei. Am Dienstag seien jetzt noch zwei weitere
Hundertschaften hinzugekommen. Damit sei die Belastungsgrenze
erreicht. Flächendeckende stationäre Kontrollen an der Ost-Grenze
wären nach seiner Überzeugung personell nur wenige Wochen
durchzuhalten.