HOLD Scholz schaltet sich in Asylpolitik ein: EU-Reformpaket soll kommen

27.09.2023 19:11

In den Kommunen ist angesichts steigender Flüchtlingszahlen Druck im
Kessel. Auch vor diesem Hintergrund muss man wohl die Aufforderung
des Kanzlers an seine Ministerrunde sehen, Deutschland dürfe bei den
EU-Verhandlungen zu Asyl nicht auf der Bremse stehen.

Berlin/Brüssel (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dringt darauf,
dass die Ampel-Koalition einer Einigung auf die geplante
EU-Asylreform nicht im Weg steht. Nach Informationen aus
Regierungskreisen sprach er in diesem Zusammenhang in der
Kabinettssitzung am Mittwoch konkret auch die sogenannte
Krisenverordnung an, der die Bundesregierung wegen Kritik aus Reihen
der Grünen bisher nicht zugestimmt hat. Zunächst hatten die
«Frankfurter Allgemeine Zeitung» und die «Bild» darüber berichtet
. An
diesem Donnerstag nimmt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an
einem Treffen ihrer EU-Amtskollegen in Brüssel teil, bei dem es auch
um das Thema geht.

Die Krisenverordnung ist ein Teil der geplanten Asylreform, mit der
unter anderem die irreguläre Migration begrenzt werden soll. Mit der
Verordnung soll etwa bei einem besonders starken Anstieg der
Migration der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen
unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können.

In Brüssel hatte die Bundesregierung ihre Ablehnung des Vorschlags
für die Verordnung bislang damit erklärt, dass dieses Regelwerk
EU-Staaten vermöglichen könnte, Schutzstandards für Migranten
inakzeptabel zu senken. In Deutschland äußerten Außenministerin
Annalena Baerbock und andere Politiker der Grünen zuletzt zudem
überraschend die Befürchtung, dass die Krisenregeln «Anreize für ei
ne
Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach
Deutschland» setzen könnte. Im Rat der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel

wurde vermutet, dass diese Argumentation mit den bevorstehenden
Landtagswahlen in Hessen und Bayern in Verbindung stehen könnte, weil
diese Linie in den EU-Verhandlungen bis dato keine Rolle spielte.

Faeser antwortete am Mittwoch nach einer Sitzung des Innenausschusses
in Berlin auf die Frage, ob sich die Haltung der Bundesregierung zu
der Verordnung geändert habe: «Bislang gab es noch keine Einigung der
europäischen Staaten, das liegt nicht nur an Deutschland, auch
Tschechien hat Probleme vorgetragen und die Niederlande. Polen und
Ungarn haben sich ganz davon verabschiedet, leider.»

Deshalb gebe es nun noch Diskussionsbedarf, unter anderen zu der
Frage, was die Merkmale einer solchen Krise sein sollten. Die
Ministerin betonte dennoch: Aber ich bin zuversichtlich, dass wir als
Bundesregierung dort eine gute Lösung finden werden und dass wir
europäisch auch zeitnah zu einem Abschluss kommen.»

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte am Mittwoch bei einer
Regierungsbefragung im Bundestag: «Ich bin zwischenzeitlich
zuversichtlich, dass die Bundesregierung dem Asylpaket auf der
europäischen Ebene zustimmen wird.»

Aus dem Auswärtigen Amt hieß es zum Stand der Verhandlungen über die

Verordnung nur: «Jetzt wird in Brüssel endlich richtig verhandelt.»
Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour betonte im Fernsehsender
«Welt»: «Der Bundeskanzler hat heute gesagt, dass wir natürlich am

Ende eine Gesamtlösung wollen für die gesamte Reform. Dazu gehört
auch eine Krisenverordnung, die für Deutschland gut ist. Und diese
wird jetzt verhandelt.»

Kritik kam von den Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen Pro
Asyl und Amnesty, die gegen die geplante Krisenverordnung sind. In
einer Pro-Asyl-Mitteilung hieß es: «Dass der Bundeskanzler nun die
Zustimmung erzwingt, zeigt, dass in der Bundesregierung
menschenrechtliche Erwägungen nichts mehr zählen sollen.»

Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) kritisierte die Koalition:
«Das «Machtwort» von Bundeskanzler Scholz zur EU-Krisenverordnung
kommt spät und ist nur immensem politischem Druck geschuldet», sagte
sie laut Mitteilung. «Herr Scholz hat es zugelassen, dass die Grünen
nicht nur seine Ampel, sondern ganz Europa blockieren.»

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sagte als Vertreter eines
Teils der Bundesländer: «Jede Verzögerung, Störung oder Blockade de
s
Gemeinsamen Europäischen Asylsystems oder einzelner Bestandteile
daraus schadet den deutschen Interessen und beschädigt die
europäische Handlungsfähigkeit.» Er sei daher erleichtert über die

Klarstellung von Scholz, dass Deutschland die Krisenverordnung und
damit auch die Asylreform weiter klar unterstützen werde.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuvor zu einer
zügigen Beilegung des Streits über die geplante Reform aufgerufen.
Dass es eine schnelle politische Einigung brauche, zeige auch die
fortgesetzte Instrumentalisierung von Migranten durch Länder wie
Belarus, sagte sie am Rande eines Treffens mit der neuen lettischen
Ministerpräsidentin Evika Silina. Es sei wichtig, gemeinsame Regeln
zu haben.

Sobald der Streit über die Krisenverordnung beigelegt ist, können
wohl auch für die Reform wichtige Verhandlungen mit dem Parlament
fortgesetzt werden. Denn das Europäische Parlament hatte zuletzt
angekündigt, Teile der Gespräche zu blockieren, bis sich die
EU-Staaten bei dem Thema Krisenverordnung positioniert haben.

Die geplante Reform des Asylsystems dürfte auch bei anstehenden
Wahlen in den Mitgliedstaaten und bei der Europawahl im kommenden
Jahr eine Rolle spielen. Vor allem rechte Parteien wie die AfD werfen
der EU seit langem Versagen im Kampf gegen illegale Migration vor.