Wie viele kommen und bleiben? Zahlen zur Migration Von Sebastian Fischer und Marc Fleischmann, dpa

28.09.2023 06:19

Die Debatte über Asylpolitik heizt sich auf. Wie viele Flüchtlinge
leben eigentlich in Deutschland und in der EU? Und wie viele kommen
aktuell dazu?

Berlin (dpa) - In Deutschland und Europa nimmt mit den höheren
Flüchtlingszahlen auch die Debatte über Asyl und Migration an Fahrt
auf. In der Diskussion stehen etwa erneut Obergrenzen und verschärfte
Grenzkontrollen. Ein Blick auf Zahlen und Fakten:

Wie viele Flüchtlinge kommen derzeit in die EU?

Im ersten Halbjahr 2023 kletterte die Zahl der Asylanträge in der
Europäischen Union auf 519 000, ein Anstieg von 28 Prozent im
Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Darüber hinaus genießen nach Angaben
der EU-Asylagentur aktuell rund 4 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der
Ukraine, die wegen einer Sonderregel kein Asyl beantragen müssen,
vorübergehenden Schutz, die meisten von ihnen kamen 2022.

Im Gesamtjahr 2022 ersuchten rund 966 000 Menschen Asyl in der EU,
der höchste Wert seit 2016. Zur Einordnung ist aber genauso wichtig:
Nach Angaben der EU-Kommission lag 2022 der Anteil der Flüchtlinge an
der Gesamtbevölkerung bei 1,5 Prozent.

Ist Deutschland der EU-Staat mit den meisten Asylanträgen?

Ja. Nach Daten der Europäischen Asyl-Agentur wurden im ersten
Halbjahr in Deutschland mit Abstand die meisten Asylanträge gestellt:
Es waren 30 Prozent aller Anträge - und damit fast doppelt so viel
wie in den nächstplatzierten Staaten Spanien (17 Prozent) und
Frankreich (16 Prozent). Dahinter rangierte Österreich, dann Italien.

Im Vergleich zu Bevölkerungszahl sieht es aber anders aus: Während in
der Bundesrepublik im Jahr 2022 auf 10 000 Einwohner 29 Anträge
kamen, lag das Verhältnis in acht EU-Staaten teils weit darüber: etwa
in Zypern (241) und Österreich (123).

Wie viele Schutzsuchende leben in Deutschland?

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten Ende 2022 etwa 3,1
Millionen Schutzsuchende in Deutschland, wobei der Großteil (2,25
Millionen) über einen anerkannten Schutzstatus verfügte.

Die Gesamtzahl stieg gegenüber dem Vorjahr um 1,14 Millionen
Personen, was den höchsten Zuwachs innerhalb eines Berichtsjahres
seit Beginn der Statistik 2007 darstellt. Zurückzuführen ist das vor
allem auf den russischen Angriffskrieg, weswegen 2022 rund 1,01
Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer Schutz in Deutschland suchten.

Woher kommen die Schutzsuchenden?

Neben Ukrainern waren Ende 2022 die meisten Schutzsuchenden syrische
(674 000 Personen), afghanische (286 000), irakische (211 000) oder
türkische (101 000) Staatsangehörige. Diese fünf
Staatsangehörigkeiten stellen fast drei Viertel der Schutzsuchenden.
Zu ihnen zählt das Statistische Bundesamt alle Ausländer, die sich
unter Berufung auf humanitäre Gründe in Deutschland aufhalten. Dazu
zählen auch Asylbewerber im Verfahren und abgelehnte Asylbewerber.

Wie viele Menschen kommen aktuell nach Deutschland?

Zuletzt ist die Zahl der Neuankömmlinge gestiegen. Zwischen Januar
und August 2023 stellten dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(Bamf) zufolge hierzulande 220 116 Menschen einen Antrag auf Asyl,
die meisten aus Syrien und Afghanistan. In etwa neun von zehn Fällen
(204 461) waren es Erstanträge nach Neuankunft oder Geburt.

Wie ist das in die Langzeitentwicklung einzuordnen?

Im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr (Januar bis August) ist
die Zahl der Asylanträge 2023 um mehr als 77 Prozent gestiegen. 2015
und 2016, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, lagen die
Werte für das Gesamtjahr bei 476 649 und 745 545 Anträgen.

Wie verhält es sich mit Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine?

Sie müssen keine Anträge auf Asyl stellen und sind daher in der
Asyl-Statistik nicht enthalten. Geflohene Menschen aus dem
osteuropäischen Nicht-EU-Staat müssen also zusätzlich in Deutschland

untergebracht und versorgt werden. Seit dem russischen Überfall auf
das Land im Februar 2022 ist ihre Zahl sprunghaft angestiegen. Ende
Juli 2023 halten sich hierzulande nach Eurostat-Angaben 1,15
Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine auf.

Wieviele Flüchtlinge dürfen überhaupt bleiben?

Zwischen Januar und August 2023 hat das Bamf über gut 175 000
Asylanträge entschieden. Mehr als 91 000 Personen wurde Schutz
zugesprochen, was einer Gesamtschutzquote von rund 52 Prozent
entspricht.

Aussagekräftiger ist allerdings die bereinigte Schutzquote. Denn
viele Anträge werden ohne inhaltliche Prüfung entschieden. Das ist
etwa der Fall, wenn ein Asylantrag zurückgezogen wurde oder ein
anderes EU-Land zuständig ist. Zieht man von den bearbeiteten Fällen
die «formellen Entscheidungen» ab, kommt man für die Zeit zwischen
Januar und August auf eine bereinigte Schutzquote von 71 Prozent.

Wie werden die angekommenen Menschen verteilt?

Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, muss sich zunächst
registrieren. Meistens passiert das in der nächstgelegenen
Erstaufnahmeeinrichtung im jeweiligen Bundesland. Verteilt auf die
Länder wird nach dem «Königsteiner Schlüssel». Nach diesem sollte
das
einwohnerstärkste Bundesland Nordrhein-Westfalen mit reichlich 21
Prozent die meisten der schutzsuchenden Personen aufnehmen, gefolgt
von Bayern (15,6 Prozent) und Baden-Württemberg (etwa 13 Prozent).

Gemessen an der Bevölkerung der Bundesländer lebten Ende 2022 nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes die meisten Schutzsuchenden in
den Stadtstaaten Bremen (6,3 Prozent der Bevölkerung), Hamburg (4,8)
und Berlin (4,8). Am niedrigsten waren die Anteile in Bayern (2,8),
Brandenburg (2,8) und Mecklenburg-Vorpommern (2,9).

Wie viele müssen Deutschland verlassen?

Bei negativem Asylbescheid droht die Abschiebung. Laut
Ausländerzentralregister waren Ende 2022 insgesamt 304 308 Menschen
in Deutschland ausreisepflichtig, davon 248 145 mit einer Duldung.
Neben abgelehnten Asylbewerbern können auch Touristen, Arbeitnehmer
und ausländische Studenten ausreisepflichtig werden, wenn ihr Visum
beziehungsweise ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist.

Geduldete können aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden,
etwa weil sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein
minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Die
Duldung ist immer befristet.

Knapp 13 000 ausreisepflichtige Personen wurden nach Angaben der
Bundesregierung 2022 aus Deutschland abgeschoben.

Gegen Entscheidungen des Bamf können auch Rechtsmittel eingelegt
werden. 2022 entschieden Gerichte in 96 495 Fällen. Nachträglich
wurden damit Asylbescheide positiv entschieden (461 Mal),
Flüchtlingsschutz (5396) oder subsidiärer Schutz gewährt (1353) und
ein Abschiebungsverbot (9385) erteilt.

Was ist Asyl und wer kann es beantragen?

In Deutschland ist das Recht auf Asyl im Grundgesetz verankert:
«Politisch Verfolgte genießen Asylrecht», heißt es in Artikel 16a.
Es
ist das einzige Grundrecht, das nur Ausländerinnen und Ausländern
zusteht. Tatsächlich aber erhalten die meisten Schutz nach der Genfer
Flüchtlingskonvention oder einen eingeschränkten (subsidiären)
Schutz. Das gilt für Menschen, denen in der Heimat etwa Folter,
Todesstrafe oder willkürliche Gewalt in einem bewaffneten Konflikt
drohen.

Wann gibt es keine Chance auf Asyl?

Ausschlusskriterien für eine Schutzberechtigung sind Verbrechen und
schwere Straftaten, oder wenn die Person eine Gefahr für die
Sicherheit Deutschlands darstellt. Kein Recht auf Asyl gibt es meist,
wenn der Ausländer aus einem der sogenannten sicheren
Herkunftsstaaten stammt - etwa aus der EU, Westbalkanstaaten, Ghana
und Senegal. Auch wenn bereits ein Schutz durch einen sicheren
Drittstaat (EU, Norwegen, Schweiz) besteht, soll in Deutschland kein
Asyl mehr beantragt werden können.

Welche Leistung erhalten sie, und wann dürfen sie arbeiten?

Ob Schutzsuchende arbeiten dürfen und Sozialleistungen erhalten,
hängt von ihrem jeweiligen Status ab. Asylberechtigte, also
anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte, dürfen
grundsätzlich arbeiten. Sie haben damit einen Anspruch auf Bürgergeld
in Höhe von derzeit 502 Euro (Alleinstehende). Asylbewerber und
Geduldete benötigen grundsätzlich eine Arbeitserlaubnis der
Ausländerbehörde. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) muss einer
Beschäftigung in der Regel zustimmen.

Ein Asylverfahren kann sich über eine längere Zeit hinziehen - so
lange stehen andere Sozialleistungen zu. Diese werden im
Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. Alleinstehende bekommen demnach
insgesamt 410 Euro im Monat.

Was ist mit Ukrainern, die geflohen sind?

Ausgenommen von dieser gesetzlichen Regelung für Asylsuchende sind
Ukrainerinnen und Ukrainer, die wegen des russischen Angriffskriegs
geflohen sind. Als anerkannte Kriegsflüchtlinge sind sie in Bezug auf
soziale Leistungen vom ersten Tag an mit deutschen Staatsbürgern
gleichgestellt und können Bürgergeld beantragen.

Ukrainer leben auch in anderen EU-Staaten - wie ist die Lage dort?

Nicht nur Deutschland versorgt Hunderttausende Ukrainer, sondern auch
näher gelegene Nachbarn des angegriffenen Staates. In Polen waren
Ende Juli 2023 reichlich 970 000 Nicht-EU-Bürger aus der Ukraine
registriert, in Tschechien fast 370 000. Setzt man die Zahlen in
Relation zur jeweiligen Bevölkerung, dann gab es die höchsten Quoten
in Tschechien (33,0 Flüchtlinge aus der Ukraine auf 1000 Einwohner),
Polen (26,4), Estland (25,9), Bulgarien (25,3), Litauen (25,0) und
Lettland (22,6). Für Deutschland lag der Wert bei 13,6.

Warum steht Polen auch bei Asyl-Flüchtlingen im Fokus?

Vor allem über Tschechien und Polen, aber auch auf anderen Routen
kommen seit einigen Monaten wieder mehr Asylbewerber nach
Deutschland. Zwischen Januar und Ende August zählte die Bundespolizei
mehr als 70 000 unerlaubte Einreisen, im gleichen Zeitraum des
Vorjahres waren es knapp 45 000. Über Osteuropa verläuft vor allem
die Westbalkan-Fluchtroute. Dort wurden im Jahr 2022 den
EU-Grenzschützern von Frontex 145 600 irreguläre Grenzübertritte
gemeldet, 136 Prozent mehr als 2021.

Wie ist die Lage auf dem Mittelmeer?

Auch hier werden vermehrt Flüchtlingsbewegungen wahrgenommen.
Zwischen Januar und August 2023 erreichten nach EU-Angaben mehr als
160 000 Menschen über das Mittelmeer das sichere Europa. Der
UN-Flüchtlingsorganisation IOM zufolge kamen aber in diesem Zeitraum
2741 Menschen ums Leben oder sind vermisst. Hauptziel: Italien. Seit
Beginn des Jahres zählte das dortige Innenministerium etwa 130 000
Migranten über den Seeweg - annähernd doppelt so viele wie im
gleichen Zeitraum des Vorjahres.