Bundesregierung will Weg für strittigen Teil der EU-Asylreform ebnen
28.09.2023 14:56
Die Haltung der Bundesregierung hat wochenlang Fortschritte bei der
geplanten EU-Asylreform verhindert. Nach erheblichem Druck aus
Brüssel will sie umstrittene Regeln nun doch akzeptieren.
Brüssel (dpa) - Trotz anhaltender Bedenken will Deutschland der
umstrittenen Krisenverordnung als Teil der geplanten EU-Asylreform
zustimmen. «Obwohl wir noch weiteren Änderungsbedarf hätten und auch
darüber hinaus, werden wir heute unserer Verantwortung gerecht»,
sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag in
Brüssel beim EU-Innenministertreffen. Deswegen werde man dem
Kompromiss zustimmen.
Die Krisenverordnung ist ein zentrales Element der geplanten
EU-Asylreform, mit der unter anderem unerwünschte Migration begrenzt
werden soll. So soll etwa bei einem besonders starken Anstieg der
Migration der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen
unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem
könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die
geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt.
In Brüssel hatte die Bundesregierung ihre Ablehnung des Vorschlags
für die Verordnung bislang damit erklärt, dass dieses Regelwerk
EU-Staaten ermöglichen könnte, Schutzstandards für Migranten
inakzeptabel zu senken. In Deutschland äußerten Außenministerin
Annalena Baerbock und andere Politiker der Grünen zuletzt zudem
überraschend die Befürchtung, dass die Krisenregeln «Anreize für ei
ne
Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach
Deutschland» setzen könnte.
Im Rat der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel wurde vermutet, dass diese
Argumentation mit den bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und
Bayern in Verbindung stehen könnte, weil diese Linie in den
EU-Verhandlungen bis dato keine Rolle spielte. Den Plänen für die
Asylreform zufolge müssten die Mitgliedstaaten auch bei einem starken
Anstieg der Migration alle ankommenden Menschen registrieren. Eine
mögliche Verlängerung von Fristen dafür wäre zudem nur nach
vorheriger Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten möglich. Das
Gleiche gilt auch für die Aufweichung von Schutzstandards. Es blieben
demnach auch in einer Krisensituation noch etliche
Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern.
Am Mittwoch hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach Angaben aus
Regierungskreisen im Kabinett den Kurs ausgegeben, dass die
Krisenverordnung nicht länger blockiert werden dürfe. Die
Bundesregierung sei sich einig, dass man der Reform nicht im Weg
stehen werde, betonte er am Donnerstag in Berlin. Er lobte die Rolle
Faesers in den Verhandlungen. «Das wäre ohne sie und ihr ganz
persönliches Engagement nicht möglich gewesen», sagte Scholz. «Sie
hat es geschafft, dass dort ein Durchbruch zustande gekommen ist.»
Dem Eindruck, dass es Uneinigkeit in der Ampel-Regierung mt Blick auf
die europäische Asyl-Politik gebe, trat Scholz entgegen: «Die
deutsche Bundesregierung verfolgt eine gemeinsame Strategie.»
Innerhalb der Koalition hatte der im Juni geschlossene Asylkompromiss
auf Ebene der EU-Innenminister für Verstimmungen gesorgt.
Insbesondere die Grünen äußerten Bedenken. Die FDP warf dem
Koalitionspartner vor, ein «Sicherheitsrisiko für das Land» zu sein
und durch «realitätsferne Positionen» konsequentes Regierungshandeln
zu erschweren, so die Worte von Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am
vergangenen Wochenende.
Sobald der Streit über die Krisenverordnung beigelegt ist, können
voraussichtlich auch die für die Reform wichtige Verhandlungen mit
dem Europäischen Parlament fortgesetzt werden. Denn das Parlament
hatte zuletzt angekündigt, Teile der Gespräche zu blockieren, bis
sich die EU-Staaten bei dem Thema Krisenverordnung positioniert
haben.
Dabei drängt die Zeit angesichts der baldigen Europawahl im Juni
2024. Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der
Mitgliedstaaten ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder
infrage gestellt werden und sich lange verzögern. Im Fall der
geplanten Reform des Asylsystems wäre dies ein besonders großer
Rückschlag. An dem Projekt wird bereits seit Jahren gearbeitet. Vor
allem rechte Parteien wie die AfD werfen der EU seit langem Versagen
im Kampf gegen illegale Migration vor.