Bundesregierung gibt Widerstand gegen EU-Krisenverordnung auf Von Ansgar Haase und Regina Wank, dpa

28.09.2023 18:51

Nach erheblichem Druck aus Brüssel will die Bundesregierung die
umstrittene Krisenverordnung nun doch akzeptieren. Vor allem eine
Partei muss dabei Federn lassen.

Brüssel (dpa) - Die Bundesregierung hat nach wochenlanger Blockade
ihren Widerstand gegen ein Kernelement der geplanten EU-Asylreform
aufgegeben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am
Donnerstag bei einem EU-Treffen in Brüssel an, dass die Koalition aus
SPD, Grünen und FDP einem neuen Textvorschlag zur sogenannten
Krisenverordnung zustimme. «Obwohl wir noch weiteren Änderungsbedarf
hätten und auch darüber hinaus, werden wir heute unserer
Verantwortung gerecht», erklärte sie.

Zu einer formellen Einigung auf den neuen Text kam es allerdings
nicht. Faeser sprach zwar im Anschluss an das Treffen von einer
«politischen Einigung». Die spanische EU-Ratspräsidentschaft äuße
rte
sich allerdings anders: Es gebe einige Details, die noch
ausgearbeitet werden müssten, sagte Fernando Grande-Marlaska. Man
hoffe auf eine Einigung in den nächsten Tagen.

Kurz vor den EU-Beratungen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am
Mittwoch nach Angaben aus Regierungskreisen im Kabinett den Kurs
ausgegeben, dass die Krisenverordnung nicht länger blockiert werden
dürfe. Das Regelwerk ist ein zentrales Element der geplanten
EU-Asylreform, mit der unter anderem unerwünschte Migration begrenzt
werden soll. So soll etwa bei einem besonders starken Anstieg der
Migration der Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen
unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem
könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die
geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt.

In Brüssel hatte die Bundesregierung ihre Ablehnung des Vorschlags
für die Verordnung wochenlang damit erklärt, dass dieses Regelwerk
EU-Staaten ermöglichen könnte, Schutzstandards für Migranten
inakzeptabel zu senken. In Deutschland äußerten Außenministerin
Annalena Baerbock und andere Politiker der Grünen zuletzt zudem die
Befürchtung, dass die Krisenregeln «Anreize für eine Weiterleitung
großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland» setzen
könnte.

Rückenwind für Wahlkampf in Bayern und Hessen?

Im Rat der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel wurde vermutet, dass diese
Argumentation mit den bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und
Bayern in Verbindung stehen könnte, weil diese Linie in den
EU-Verhandlungen bis dato keine Rolle gespielt hatten. Nach den
Plänen für die Asylreform müssten die Mitgliedstaaten auch bei einem

starken Anstieg der Migration alle ankommenden Menschen registrieren.
Eine mögliche Verlängerung von Fristen dafür wäre zudem nur nach
vorheriger Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten möglich. Das
Gleiche gilt auch für die Aufweichung von Schutzstandards. Es blieben
demnach auch in einer Krisensituation noch etliche
Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern.

Baerbock verwies am Donnerstag darauf, dass man noch etliche Punkte
in den Text habe hereinbringen können. Sie hatte im Juni parteiintern
in der Kritik gestanden, weil sie die damals vereinbarten Pläne für
eine Verschärfung der regulären Asylverfahren akzeptiert hatte.

Die Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bezeichnete
die Entscheidung der Bundesregierung als «dramatisches Signal, dass
Menschenrechte keine Rolle mehr spielen». «Während die
Ampel-Regierung sich im Koalitionsvertrag noch vorgenommen hatte,
rechtswidrige Pushbacks und das Leid an den Außengrenzen zu beenden,
stimmt sie nun einer Verordnung zu, die genau dies massiv verschärfen
würde», teilte die Organisation mit.

Der Kompromiss-Text

Grundlage der Ankündigung von Faeser war eine von der spanischen
EU-Ratspräsidentschaft leicht überarbeitete Version des
ursprünglichen Vorschlags für die Krisenverordnung. Sie soll es vor
allem den deutschen Grünen ermöglichen, die Zustimmung nicht als
große Niederlage aussehen zu lassen.

Nach dem neuen Text der EU-Ratspräsidentschaft wurde so zum Beispiel
eine Regel gestrichen, die es EU-Ländern erlaubt hätte, bei einem
starken Zustrom von Menschen zeitweise von EU-Standards für
materielle Unterstützungsleistungen und den Zugang zu medizinischer
Versorgung abzuweichen. Zudem soll die Anträge auf Schutz von
Minderjährige und ihren Familienmitgliedern auch in Krisensituationen
bevorzugt geprüft werden. Vorgesehen sind auch stärkere Informations-
und Rechtfertigungspflichten für Länder, die die Verordnung in
Anspruch nehmen wollen.

Weitreichend sind die Änderungen unter dem Strich allerdings nicht.
So wäre auch mit dem ursprünglichen Text festgelegt worden, dass die
Mitgliedstaaten auch in Krisensituationen die Grundbedürfnisse der
Antragsteller in Bereichen wie Ernährung, Kleidung, angemessene
medizinische Versorgung und Unterkünfte «unter uneingeschränkter
Achtung der Menschenwürde» decken müssen. Nicht explizit im Text
adressiert wurde auch die Sorge vor einer verstärkten Weiterleitung
nicht-registrierter Migranten nach Deutschland.

Warum die Zeit drängt

Die geplante Asylreform soll möglichst rasch über die Bühne gehen.
Denn die Zeit drängt: Im Juni nächsten Jahres ist Europawahl.
Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedstaaten
ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt
werden und sich lange verzögern. Im Fall der geplanten Reform des
Asylsystems wäre dies ein besonders großer Rückschlag. An dem Projekt

wird bereits seit Jahren gearbeitet. Vor allem rechte Parteien wie
die AfD werfen der EU seit langem Versagen im Kampf gegen illegale
Migration vor.