UN: Über 180 000 Migranten 2023 übers Mittelmeer in Europa angeko mmen
29.09.2023 04:00
Während die EU-Staaten mit einer Asylreform ringen, berichten die
Vereinten Nationen von deutlich mehr Migranten, die über das
Mittelmeer nach Europa kamen. Die Ankünfte in einem Land blieben
dabei stabil.
New York (dpa) - Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge sind in
diesem Jahr bereits etwa 186 000 Menschen über das Mittelmeer in
Europa angekommen. Mit 130 000 seien die meisten in Italien
registriert worden; das entspreche einem Anstieg von 83 Prozent im
Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum. Dies erklärte die Direktorin des
UNHCR-Büros in New York, Ruven Menikdiwela, am Donnerstag (Ortszeit)
im UN-Sicherheitsrat.
Die Zahl der Vermissten und Toten im Zeitraum von Anfang Januar bis
zum 24. September liege bei über 2500 Menschen, hieß es. Die
internationale Migrationsorganisation IOM hatte kürzlich bereits von
über 2700 Toten und Vermissten gesprochen. IOM zufolge stieg neben
der Migration nach Italien auch jene nach Griechenland stark an - die
aktuellen Zahlen seien aber nicht mit jenen sehr hohen von 2015 zu
vergleichen. Die Ankünfte in Spanien lägen im Jahresvergleich dagegen
auf ungefähr demselben Niveau.
Unsicherheit und Rassismus als Fluchtursachen
Laut Vereinten Nationen legten die meisten Migrantinnen und Migranten
mit mehr als 100 000 aus Tunesien ab, gefolgt von Libyen mit mehr als
45 000. Neben Italien, Griechenland und Spanien steuerten die Boote
auch Zypern und Malta an. Der starke Anstieg von Überfahrten hatte
zuletzt zu Spannungen innerhalb der EU über Maßnahmen für ihre
Begrenzung gesorgt.
Laut Menikdiwela seien die hohen Migrationszahlen aus Tunesien auch
auf eine «Unsicherheit unter den Flüchtlingen nach Vorfällen
rassistisch motivierter Angriffe und Hassreden» sowie kollektiven
Abschiebungen aus Libyen und Algerien zurückzuführen. «Dies geschieht
vor dem Hintergrund einer Verschlechterung der Sicherheitslage in
mehreren Nachbarländern von nordafrikanischen Staaten.»
Bundesregierung gibt Widerstand bei EU-Asylreform auf
In Europa gab die Bundesregierung derweil nach wochenlanger Blockade
ihren Widerstand gegen ein Kernelement der geplanten EU-Asylreform
auf. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte am Donnerstag
bei einem EU-Treffen in Brüssel an, dass die Koalition aus SPD,
Grünen und FDP einem neuen Textvorschlag zur sogenannten
Krisenverordnung zustimme. «Obwohl wir noch weiteren Änderungsbedarf
hätten und auch darüber hinaus, werden wir heute unserer
Verantwortung gerecht», erklärte sie.
Zu einer formellen Einigung auf den neuen Text kam es allerdings
nicht. Faeser sprach zwar im Anschluss an das Treffen von einer
«politischen Einigung». Die spanische EU-Ratspräsidentschaft äuße
rte
sich allerdings anders: Es gebe einige Details, die noch
ausgearbeitet werden müssten, sagte der spanische Innenminister
Fernando Grande-Marlaska. Das Regelwerk ist ein zentrales Element der
geplanten EU-Asylreform, mit der unter anderem unerwünschte Migration
begrenzt werden soll.
So soll etwa bei einem besonders starken Anstieg der Migration der
Zeitraum verlängert werden können, in dem Menschen unter
haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte
der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten
strengen Grenzverfahren infrage kommt. In Brüssel hatte die
Bundesregierung ihre Ablehnung des Vorschlags für die Verordnung
wochenlang damit erklärt, dass dieses Regelwerk EU-Staaten
ermöglichen könnte, Schutzstandards für Migranten inakzeptabel zu
senken.
Pro Asyl: «dramatisches Signal» für Menschenrechte
Nach den Plänen für die Asylreform müssten die Mitgliedstaaten auch
bei einem starken Anstieg der Migration alle ankommenden Menschen
registrieren. Eine mögliche Verlängerung von Fristen dafür wäre zud
em
nur nach vorheriger Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten möglich.
Das Gleiche gilt auch für die Aufweichung von Schutzstandards. Es
blieben demnach auch in einer Krisensituation noch etliche
Kontrollmöglichkeiten, um Missbrauch zu verhindern. Die Flüchtlings-
und Menschenrechtsorganisation Pro Asyl bezeichnete die Entscheidung
der Bundesregierung als «dramatisches Signal, dass Menschenrechte
keine Rolle mehr spielen».
Der Kompromiss-Text
Grundlage der Ankündigung von Faeser war eine von der spanischen
EU-Ratspräsidentschaft leicht überarbeitete Version des
ursprünglichen Vorschlags für die Krisenverordnung. Sie soll es vor
allem den deutschen Grünen ermöglichen, die Zustimmung nicht als
große Niederlage aussehen zu lassen.
Nach dem neuen Text der EU-Ratspräsidentschaft wurde so zum Beispiel
eine Regel gestrichen, die es EU-Ländern erlaubt hätte, bei einem
starken Zustrom von Menschen zeitweise von EU-Standards für
materielle Unterstützungsleistungen und den Zugang zu medizinischer
Versorgung abzuweichen. Zudem soll die Anträge auf Schutz von
Minderjährige und ihren Familienmitgliedern auch in Krisensituationen
bevorzugt geprüft werden.
Warum die Zeit drängt
Die geplante Asylreform soll möglichst rasch über die Bühne gehen.
Denn die Zeit drängt: Im Juni nächsten Jahres ist Europawahl.
Projekte, die bis dahin nicht mit den Regierungen der Mitgliedstaaten
ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt
werden und sich lange verzögern.