Deutsch-französische Kabinettsklausur soll Beziehung wiederbeleben Von Michael Evers und Michael Fischer, dpa

09.10.2023 17:31

Die deutsch-französische Freundschaft steht derzeit unter keinem
guten Stern. Im Sommer musste Präsident Macron wegen Unruhen zu Hause
seinen Staatsbesuch absagen. Und jetzt wird die erste gemeinsame
Kabinettsklausur in Hamburg vom Angriff auf Israel überschattet.

Hamburg (dpa) - Mit ihrer ersten gemeinsamen Kabinettsklausur in der
Heimatstadt von Bundeskanzler Olaf Scholz wollen Deutschland und
Frankreich neuen Schwung in ihre Zusammenarbeit bringen. Bei dem
zweitägigen Regierungstreffen in Hamburg soll es unter anderem um den
industriellen Wandel, die technologische Souveränität Europas, die
EU-Erweiterung und die Afrika-Politik gehen. Auch Streitpunkte wie
die Energie- und Verteidigungspolitik stehen auf dem Programm.
Überschattet wird das Treffen von dem Angriff der islamistischen
Hamas auf Israel, der eine militärische Auseinandersetzung mit
bereits Hunderten Toten auf beiden Seiten ausgelöst hat.

Mit Regierungsfliegern aus Paris und Berlin traf ein Großteil der
Regierungsmitglieder beider Länder am Montagnachmittag auf dem
Flugplatz des Airbus-Werks in Finkenwerder ein - bei typischem
Hamburger Schietwetter. Zum Auftakt der Klausur war dort eine
Besichtigung des größten deutschen Standorts des Flugzeugbauers
geplant, einem Vorbild für erfolgreiche industrielle Kooperation
zwischen beiden Ländern.

Im Anschluss stand eine Hafenrundfahrt auf dem Programm. Am Dienstag
soll die Klausur mit einer Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf
Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron enden. Zuvor wollten
beide sich bei einem Spaziergang an der Elbe austauschen -
Fischbrötchen inklusive.

Nachdem sich zwischen den beiden Nachbarländern im vergangenen Jahr
Konflikte und Missklänge häuften und die deutsch-französische Achse
holperte, sind die zwei EU-Schwergewichte längst wieder um bessere
Kooperation bemüht. So beschworen Scholz und Macron im Januar am 60.
Jahrestag des Élysée-Vertrags die Freundschaft beider Länder.

Macrons Staatsbesuch in Deutschland sollte im Sommer ein weiterer
feierlicher Rahmen für einen Schulterschluss sein, musste aber wegen
Unruhen in Frankreich verschoben werden. Nächstes Jahr soll er
nachgeholt werden. Auf Arbeitsebene wurde der Austausch aber spürbar
intensiviert, regelmäßig kommen französische Regierungsmitglieder
nach Berlin und deutsche nach Frankreich.

Auch das Hamburger Treffen als informelle Klausurtagung dient dem
Zweck, eine neue, positive Dynamik in das Verhältnis zu bekommen.
Bisher gab es zwar bereits ein bis zwei Mal im Jahr gemeinsame
Kabinettssitzungen. Eine zweitägige Klausur gab es aber noch nicht.

Beschlüsse oder eine Abschlusserklärung sind nicht geplant. Die
Franzosen versprechen sich aber insbesondere Fortschritte beim
Streitthema Reform des Strommarktes, über die die EU-Energieminister
Mitte Oktober beraten. Die EU-Kommission hatte im Frühjahr Vorschläge
für die Reform gemacht. Frankreich will den Preis für seinen
Atomstrom, wie Macron kürzlich klar machte, notfalls selber
festsetzen, um seine Industrie und Bevölkerung mit preisgünstiger
Energie zu versorgen. Deutschland wiederum diskutiert über einen
staatlich subventionierten Industriestrompreis.

Auch beim Thema Verteidigung sind Berlin und Paris nicht auf einer
Linie und gehen etwa bei der Luftverteidigung unterschiedliche Wege.
Macron pocht auf eine europäische Verteidigungspolitik mit der
Beschaffung europäischer - sprich auch französischer - Rüstungsgüte
r.
Deutschland schließt unterdessen große Verteidigungsaufträge mit den

USA und Israel ab. Die europäische Verteidigungsbranche könne nicht
alles liefern und es sei völlig vertretbar, beim Verbündeten USA
Systeme zu kaufen, heißt es in Berlin.

Bundesjustizminister Marco Buschmann will die deutsch-französische
Kabinettsklausur nutzen, um eine Initiative zur Reduzierung
überflüssiger Bürokratie auf europäischer Ebene in Gang zu setzen.

«Mehr als die Hälfte der bürokratischen Lasten kommen mittlerweile
von der EU», sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur.
Diese immer weiter wachsende «Brüsseler Bürokratie-Lawine» drohe di
e
Unternehmen unter sich zu begraben. Gemeinsam mit der französischen
Regierung wolle man diese ungute Entwicklung nun umkehren. Ihm sei
bei der Abstimmung mit Frankreich besonders die Entlastung der
kleinen und mittleren Unternehmen wichtig, betonte Buschmann.